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Frieden schaffen – aber wie? Was wir aus vergangenen Kriegen über die Gegenwart lernen können

PlayIn seinem Buch „Über Kriege und wie man sie beendet“ analysiert Jörn Leonard, wie Kriege und Konflikte in der Vergangenheit zu Ende gingen und was es jetzt für einen stabilen Frieden im Nahen Osten braucht.
Frieden schaffen – aber wie? | Video verfügbar bis 26.11.2024 | Bild: hr

Nebel, der immer dichter wird. Sich ausbreitet. Und näher rückt.  Nicht nur ein Gefühl: Es ist die konfliktreichste Zeit seit Jahrzehnten.

Krieg in der Ukraine. Krieg im Nahen Osten.

„Das sind alles Konflikte, die sind der Weltgemeinschaft in den letzten Jahren ordentlich vor die Füße gefallen. Es haben wenige Leute damit gerechnet, dass diese gefrorenen Konflikte, dass die so scharf, so hart und so gewaltvoll eskalieren“, sagt Ursula Schröder, Friedensforscherin.

Und dann, für einen kurzen Moment: Licht. Feuerpause in Gaza. Geiseln kommen frei. Und ein neues Gefühl kommt auf: Hoffnung. Zu früh?

„Das ist völlig verständlich, dass wir das im Augenblick uns wünschen“, sagt der Historiker Jörn Leonhard. „Aber der Weg von einer Feuerpause zu einem Waffenstillstand, zu einem stabilen Frieden – das wissen wir aus historischen Beispielen, der kann sehr kompliziert sein.“

In seinem Buch „Über Kriege und wie man sie beendet“ analysiert Jörn Leonhard, unter welchen Bedingungen Friedensprozesse in der Vergangenheit erfolgreich waren. Und wann sie scheiterten – wie in Europa nach 1918.

Die Frage lautet: Was kann ein Frieden jetzt leisten?

„Das Problem der Friedensordnung nach dem Ersten Weltkrieg war, dass dieser Frieden mit Erwartungen überfordert war. Und diese Überforderung bedeutete auch, dass jedes nicht erreichte Ziel in Desillusionierung, Revanchismus, Revisionismus umschlägt und damit sozusagen dann auch wieder neue Konflikte provoziert“, sagt Jörn Leonhard. „Wenn wir diese Situation auf den Nahen Osten anwenden – dann ist ganz wichtig, dass man sagt: Was kann ein Frieden jetzt leisten? Was kann er leisten und was kann er nicht leisten?“

Zunächst kann es nur um mögliche Wege aus der Eskalation gehen, sagt auch die Friedensforscherin Ursula Schröder. Doch dafür sei eine wichtige Voraussetzung noch nicht erfüllt.Die Szenarien kranken gerade alle daran, dass wir momentan nur militärische Ziele sehen. Die israelische Armee führt einen ja völkerrechtlich auch gerechtfertigten Krieg im Gazastreifen gegen den Angriff der Hamas. Die verteidigen sich dort, das ist ja eine Selbstverteidigungsoperation, die die da führen“, erklärt Ursula Schröder. „Aber es ist noch nicht von der israelischen Seite formuliert worden, was die politischen Ziele dieser Operation sein sollen, jenseits von der Elemination der Hamas. Und deswegen ist die Frage: Wo wollen die Israelis hin, wo wollen die Palästinenser hin? Wer formuliert ein politisches Ziel und kann es darum gehen, den Friedensprozess, wenn man das so nennen kann, zwischen Israel und der palästinensischen Seite wieder aufzunehmen?“

Vermittler können helfen

Dabei helfen sollen Vermittler. Die USA aber auch: Katar. Das Emirat steht immer wieder wegen Menschenrechtsverletzungen in der Kritik. Und: wegen seiner Verbindungen zur Hamas. Friedensvermittlung von einem Land wie Katar: absurd. Aber auch: ein notwendiges Übel. „Ein Weg zu einem Frieden wird leichter, wenn es einen Vermittler auch in der Region gibt. Das ist auch deshalb wichtig, weil ein Friedensprozess lange dauert“, sagt Jörn Leonhard. „Und Sie brauchen wiederum aus historischen Beispielen abgeleitet, einen Vermittler, der langfristig bereit ist, sich in der Region zu engagieren. Als am Ende des Ersten Weltkriegs die Verträge unterzeichnet werden, beginnt ja erst die Arbeit am Frieden. Wie lange hat es zwischen Deutschland und Frankreich oder zwischen Deutschland und Polen gedauert, bis Feindbilder in den Köpfen langsam abgebaut worden sind? Das ist ein Generationenprojekt.“

An dem Initiativen aus den Zivilgesellschaften beider Seiten schon seit langem arbeiten. Sie protestieren gemeinsam, bemühen sich um friedliche Begegnungen, ermöglichen kulturellen Austausch. Ihr Engagement macht sie zur Zielscheibe. „Weil die rechtsreligiöse Regierung unter Netanjahu natürlich auch viel dafür getan hat, dass solche Initiativen nicht weiterkommen. Das ist ganz klar. Und deshalb haben wir innerhalb der israelischen Gesellschaft jetzt auch einen großen Dissens über die Wege nach vorn. Das macht es in einer solchen Situation schwer“, sagt Ursula Schröder. „Und eines der Dramen der Massaker des 7. Oktober ist es, dass gerade die Personen Opfer geworden sind – zum Beispiel der Organisation „Women Wage Peace“ – die sich seit Jahrzehnten für Frieden eingesetzt haben. Das heißt, die Kibbuzim an der Grenze waren bekannt dafür, dass sie orientiert sind auf Frieden und auf Ausgleich mit der palästinensischen Seite und das ist natürlich dann einfach sehr bitter.“

Was ist nach so viel Hass noch möglich?

Was tun, wenn die Brutalität zu siegen scheint? Wenn der Hass jeden noch so kleinen Traum vom Frieden zerschlägt? Kann es überhaupt Zukunft geben, wo schon so viel Zerstörung ist?

„Wenn wir uns die Geschichte Israels anschauen, die Friedensverträge mit Ägypten beispielsweise ansehen, dann kann aus einem großen Konflikt dieser Art später irgendwann auch eine politische Lösung erwachsen, weil jetzt sich viele Akteure eingestehen müssen, dass man den Konflikt nicht einfach wegdiskutieren kann“, sagt Ursula Schröder. „Der Konflikt bleibt, wir brauchen eine Lösung. Und ganz vielen Israelis ist das ja klar. Wenn man die israelische Presse verfolgt, dann sieht eine sehr nuancierte, sehr differenzierte Debatte, die sehr kritisch mit der eigenen Regierung ins Gericht geht, in der auch ganz vielen Personen klar ist: Ja, die palästinensische Seite braucht eine politische Repräsentation, braucht einen Staat, braucht die Möglichkeit, ihre Zukunftsvisionen auch zu leben.“

„Sie brauchen eine wirtschaftliche und eine politische Perspektive“, sagt Jörn Leonhard. „Das wissen wir aus historischen Konfliktkonstellationen. Deshalb war der Marshallplan so wichtig für Europa nach 1945.“

„Frieden ist ein Prozess.“

Ein Marshallplan für Gaza – und dann? Vieles wird seit Jahrzehnten diskutiert. Nichts hat funktioniert. Ist naiv, wer sich Frieden wünscht?

„Es ist vollkommen alternativlos, sich über Frieden Gedanken zu machen. Frieden ist ein Prozess, und das heißt auch das ist ein jahrzehntelanger Prozess. Und es ist ganz normal und ganz üblich, dass Versuche, Frieden zu stiften, sei das über Friedensverhandlungen, sei das über Friedensverträge sei das über Friedensförderung“, sagt Ursula Schröder. „Dass solche Sachen scheitern, die scheitern. Dann versuchen es die Leute erneut. Dann scheitern die wieder. Und dann versuchen es die Leute wieder. Und der zehnte Versuch der funktioniert dann vielleicht. Und das ist vielleicht 15 Jahre später auch das muss man wissen, dass man das immer wieder versuchen muss. Und dass man die Hoffnung darauf nicht aufgeben darf.“


Autorin: Sarah Plass

„Über Kriege und wie man sie beendet – zehn Thesen“
Jörn Leonhard
Verlag C.H. Beck, 2023
18,00 €

Stand: 26.11.2023 23:05 Uhr

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