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Wie konnte das passieren?

Israelische Kulturschaffende ringen nach Worten

PlayEin Teddy in einem Haus in einem Kibbuz, aus dem die Familie von Hamas-Terroristen entführt wurde
Israelische Kulturschaffende ringen nach Worten | Bild: Getty Images

Vor einer Woche, am Samstag, den 7. Oktober, überfiel die palästinensische Terrororganisation Hamas Israel, tötete mehr als tausend Menschen auf bestialische Weise und nahm eine unbekannte Zahl von Geiseln. Das Land ist seither im Krieg.

Noch immer stehen die Israelis unter Schock. Sie stellen sich Fragen, die nur schwer zu beantworten sind: Wie konnte es zu diesem Großangriff, zu diesem Blutbad kommen? Wer trägt die Verantwortung? Welche Folgen hat der Krieg für Israel und die gesamte Region? ttt hat mit Zeruya Shalev, Etgar Keret, Ofer Waldman, Sarah Blau und Moshe Zimmermann gesprochen.

"Meine Welt ist zusammengebrochen"

Zeruya Shalev
Zeruya Shalev | Bild: WDR

Zeruya Shalev gehört zu den bekanntesten Schriftstellerinnen Israels. Auf Deutsch erschien zuletzt ihr Buch "Schicksal": "Das war die schwerste Woche in meinem Leben. Seit letztem Samstag lebe ich mit dem Gefühl, dass meine Welt in sich zusammengebrochen ist. Es ist eine große Angst, eine große Wut, schreckliche Trauer, schrecklicher Schmerz."

Der Schriftsteller und Drehbuchautor Etgar Keret lebt mit seiner Familie in Tel Aviv. Seine Bücher sind in Israel Bestseller und werden weltweit übersetzt: "Manche Leute weinen vor Erleichterung, wenn ihre Verwandten unter den Leichen sind, weil sie dann wissen, dass sie jetzt wenigstens nicht gefoltert oder in irgendein Loch geworfen werden."

Ofer Waldman
Ofer Waldman | Bild: WDR

Ofer Waldman, Journalist, Autor und Musiker, hat in Deutschland studiert und gearbeitet. Drei Jahre lang hat er als Hornist im West-Eastern Divan Orchester von Daniel Barenboim gespielt: "Junge Mütter mit Babys auf dem Arm, die verschleppt werden. Alte, demente Menschen, die verschleppt werden. Kinder mit verbundenen Händen, die erschossen werden. Das sind Bilder. Das sind Taten, die mit unserer Welt eigentlich nichts zu tun haben.

Sarah Blau
Sarah Blau | Bild: WDR

Die Schriftstellerin Sarah Blau thematisiert in ihren Romanen die Spannungen in der israelischen Gesellschaft. In diesem Frühjahr erschien auf Deutsch "Liliths Töchter": "Ich sage dir, ich rede und weine. Und ich begreife es dennoch nicht. Das ist ein Grauen, jenseits dessen, was man fassen kann."

Moshe Zimmermann, emeritierter Professor für deutsche Geschichte an der Hebräischen Universität Jerusalem, lehrte mehrere Jahre an deutschen Universitäten: "Ein Pogrom in einem riesigen Ausmaß, auf dem israelischen Territorium. Das heißt, das, was der Zionismus den Juden versprochen hat, konnte er nicht einhalten. Das ist ein richtiger Einschnitt. Das ist die Katastrophe, und deswegen sind die Leute so fassungslos."

"Unser Land hat eine andere Führung verdient"

Ofer Waldman: "Verantwortlich für diese Angriffe ist die radikalislamische Hamas. Die Verantwortung der israelischen Regierung aber ist, dass diese Angriffe möglich waren, dass die Zivilbevölkerung an der Grenze zu Gaza schutzlos war."

Etgar Keret
Etgar Keret | Bild: WDR

Etgar Keret: "Wer ein System regiert, in dem an einem Tag mehr Juden getötet werden als zu irgendeinem anderen Zeitpunkt in der Geschichte nach dem Holocaust, muss um Vergebung bitten, seine Sachen packen und gehen."

Zeruya Shalev: "Netanjahu hat die schlechteste Regierung seit der Staatsgründung Israels gebildet. Sie handelt völlig verantwortungslos, ist extremistisch, besteht aus Leuten, die sich ausschließlich mit sich selbst beschäftigen und um ihre eigenen Interessen kümmern. Unser Volk hat eine andere Führung verdient."

Moshe Zimmermann
Moshe Zimmermann | Bild: WDR

Moshe Zimmermann: "Diese Regierung hat versucht eigentlich Abschied zu nehmen von den Grundwerten der westlichen Zivilisation, von den Grundwerten des Zionismus. Die Reaktion musste kommen. Die Ursache ist eben diese Regierung, ihre Politik, ihre Ideologie, ihre Grundhaltung."

"Die Hamas will den totalen Umsturz"

Etgar Keret: "Die Hamas will keinen Staat auf israelischem Territorium gründen. Die Hamas will einen totalen Umsturz, wie der 'Islamische Staat'. Ihr Ziel ist es, alle abzuschlachten, die anders denken als sie."

Ofer Waldman: "Es waren keine Kämpfer, keine Freiheitskämpfer. Diese Hamas-Barbaren. Sie dienen nicht dem palästinensischen Befreiungskampf. Sie haben diesem Kampf sehr geschadet."

Zerya Shalev: "Die Hamas hat den Gazastreifen vor achtzehn Jahren gewaltsam übernommen, nachdem die Israelis von dort abgezogen sind. Ich bin mir sicher, dass es Palästinenser gibt, die entsetzlich darunter leiden."

Moshe Zimmermann: "Mit Hamas kann man nichts anfangen. Und es war auch ein Fehler der israelischen Regierung, immer irgendwie mit Hamas eine Regelung zu finden, um Ruhe zu bekommen, temporäre Ruhe."

Sarah Blau: "Der Kampf ums Narrativ hat begonnen. In den sozialen Medien sagen sie schon, das sei alles nicht passiert, Leute nicht tot etc.. Also versuche ich mit all meiner Kraft, in den Netzwerken zu schreiben: Hamas ist wie der Islamische Staat."

"Was die Hamas getan hat, kann man nicht allen Palästinensern anlasten"

Moshe Zimmermann: "Im Moment steht die Welt und staunt über diese Grausamkeit der Hamas-Leute am letzten Samstag. Aber wenn wir weiter so auf diese Art und Weise Gaza bombardieren und wenn man weiter sieht, wie auch die Zivilbevölkerung leidet, wird die Sympathie für Israel selbstverständlich zurückgehen."

Etgar Keret: "Man kann das, was die Hamas getan hat, nicht allen Palästinensern anlasten, genauso wenig, wie man unsere extreme Regierung dem ganzen israelischen Volk zur Last legen kann."

Ofer Waldman: "Und ich glaube, der einzige Weg ist, wenn die auch hier in Palästina aufstehen und sagen Nein. Nein, diese Menschen, die Misshandelnden, die Mordenden, die handeln nicht für uns. Sie sind unter uns nicht erwünscht."

Sarah Blau: "Ich möchte furchtbar gerne etwas Optimistisches sagen. Aber ich kann nicht."

Zerya Shalev: "Ich habe die Hoffnung, dass der Unterschied zwischen todessüchtigen Terroristen und den gemäßigten Leuten, die Frieden suchen, viel, viel klarer wird. Egal ob Araber, Juden oder Christen."

Autorinnen des TV-Beitrags: Claudia Kuhland und Sarah Stricker

Die komplette Sendung steht am 15. Oktober ab 20 Uhr zum Abruf in der Mediathek bereit.

Stand: 15.10.2023 18:43 Uhr

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Westdeutscher Rundfunk
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