So., 25.05.25 | 23:05 Uhr
Das Erste
Die 78. Filmfestspiele von Cannes
Glamourös, dekadent, erhaben. Willkommen in Cannes! Eine unnachahmliche Mischung aus Zirkus-Parade und Verneigung vor der Filmkunst. Mit Stars, die der Trump-Regierung und dem Wahnsinn der Weltlage den Kampf ansagen.
Haben wir noch ein gemeinsames Verständnis für die Welt?

"Haben wir Angst, gewinnen sie", sagt Schauspieler Pedro Pascal. "Wir müssen mit Filmen und unseren Werten dagegenhalten. Die Typen, die uns Angst machen wollen, können uns alle mal!"
Die Vereinigten Staaten, mitten im Corona-Lockdown. Das Land wandelt sich auch durch soziale Medien in ein Pulverfass aus unversöhnlichen Lagern, bis alles in einem Bleigewitter explodiert, im Western-Thriller "Eddington". "Grundlegend für liberale Demokratien war immer ein gemeinsames Verständnis für die Welt, in der wir leben", sagt Regisseur Ari Aster. "Dieses soziale Bindemittel ist weg."
"Demokratie ist nie etwas Selbstverständliches."

Viele Filme im Cannes-Wettbewerb blicken zurück in die Geschichte, erzählen von Diktaturen, die vor Jahrzehnten wüteten, deren Gift aber bis heute nachwirkt. Gefährliches Beispiel: Brasilien vor 50 Jahren und heute. Für "The Secret Agent" erhält Wagner Moura den Preis als bester Darsteller.
"Bolsonaro hat bis zu seiner Abwahl 2022 einen faschistischen Weg eingeschlagen, hat die Kunstfreiheit angegriffen, Universitäten, die Presse", sagt Moura. "In den USA passiert nun das gleiche. Demokratie ist nie etwas Selbstverständliches. Niemand ist sicher."
Panahi hatte 15 Jahre lang Ausreiseverbot

Er hat jahrzehntelang in Unsicherheit gelebt und seine Filme heimlich gedreht: der iranische Regisseur Jafar Panahi. Er gewinnt die Goldene Palme für sein Drama "Ein einfacher Unfall". Darin entführt eine Gruppe ehemaliger Gefangener einen Mann, den sie für ihren mutmaßlichen Folterer halten. "Der Film zeigt nicht nur meine eigenen Erfahrungen, sondern die von 40 Jahren in iranischen Gefängnissen", sagt Panahi. "Männer und Frauen, die seit fast einem halben Jahrhundert unter dem Regime leiden."
15 Jahre lang Ausreiseverbot. Und nun eine triumphale Rückkehr nach Cannes für den unbeugsamen Jafar Panahi, der weiter im Iran drehen will. Eine solide, aber politische Jury-Entscheidung für die Goldene Palme, denn filmisch hat uns dieses Werk restlos begeistert: "In die Sonne schauen". Die Traumata vergangener Generationen. Verfolgen sie auch uns? "In die Sonne schauen" ist eine Reise durch Epochen und Frauenschicksale.
"Was lebt in uns weiter durch die Zeit hindurch?"

Das Flüstern des Windes, das Prasseln eines Feuers oder ein lyrischer Song hält alles zusammen. Eine Schmerzensmelodie. Fließend, assoziativ. Ein Mosaik aus Stimmungen und Ereignissen. Es ist Mascha Schilinskis zweiter Spielfilm. "Was lebt in uns weiter durch die Zeit hindurch", fragt Mascha Schilinski. "Was bestimmt uns, was vielleicht vor unserer eigenen Geburt geschehen ist. Was lebt in uns weiter. Was brennt sich in unsere Körper ein, was sind vielleicht kollektive Körpererinnerungen?"
Ein Vierseithof in der Altmark in den 1910er Jahren. Mascha Schilinski hatte diesen Hof zufällig mit ihrer Koautorin Louise Peter entdeckt. Er inspirierte die die beiden zum Stoff. "Wir haben dann eine Fotografie gefunden von drei Frauen, die auf diesem Hof standen um 1920", sagt Schilinski. "Das hat uns so berührt, weil wir an der gleichen Stelle standen und uns gefragt haben, was in einem Raum passieren kann. So dass jemand an einer Stelle etwas ganz Profanes erlebt und jemand anderes eine existentielle Erfahrung macht." Fünf Jahre arbeitet Schilinski an dem Film. Ihre Mutter ist Regisseurin, der Vater Bauarbeiter. Als junge Frau schließt sie sich einem Wanderzirkus an. Als Feuertänzerin. Dann Filmstudium und Kinder-Casting. Jetzt Cannes.
Schilinski springt zwischen den Zeitebenen

Die alte Welt einreißen, umbauen. Christa lebt heute. Was treibt sie an, was uns? Vier Generationen Frauen, wie sie leiden, durchhalten, sich behaupten. "Da sehe ich mich sofort wieder, so als Frau, als Luise", sagt Schauspielerin Luise Heyer. "Ich sehe es auch in meiner Mutter, meiner Großmutter, in meiner Schwester…"
Die 80er. Angelika bäumt sich auf. Schilinski springt zwischen den Zeitebenen, wiederholt in den zweieinhalb Stunden viele Motive. Wie das Wasser. Für die einen Untergang, für die anderen Lebenselixier. "Wann immer wir versucht haben, eine Handlung, einen Plot zu finden, hat sich der Stoff mit Händen und Füßen gewehrt", sagt Schilinski. "Das war nicht möglich, wir haben dann einfach angefangen die Bilder, die aufstiegen, aufzuschreiben."
Das deutsche Kino glänzt wieder auf Weltniveau

Angelika beobachtet, wie ihre Mutter in ihrer Rolle gefangen ist. Über einen eingezwängten Wagen, ein Geburtstagsscherz, kann die nicht lachen. "In die Sonne schauen" handelt von den Geistern der Vergangenheit. Traum und Trauma. Frauen, die Opfer sind. Frauen, die sich befreien. Ein wunderbar schwebender Film. Ganz ohne große Dialoge. Eine stille Sensation in Cannes.
Das deutsche Kino kann endlich wieder auf Weltniveau glänzen, in einem starken Cannes-Jahrgang. Ein Lichtblick.
Autoren: Antje Harries / Florian Kummert
Stand: 25.05.2025 20:45 Uhr
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