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Kultur. Eine neue Geschichte der Welt

Kultur. Eine neue Geschichte der Welt | Video verfügbar bis 25.05.2026 | Bild: BR

Das sind wir. Kleinste Wesen in der Unendlichkeit auf der Suche nach Antworten. 

Handabdrücke in einer Höhle
Handabdrücke in der Chauvet-Höhle in Frankreich | Bild: BR

Warum gibt es die Welt? Und wo ist darin der Platz. Für dich? Für mich? Die Antworten ergeben unsere Geschichte. Ich war hier. Ich gehöre hierher. Das ist mein Glaube, meine Kultur. Von der Chauvet-Höhle bis zur Gegenwart identifiziert sich der Mensch mit seiner Kultur, und verwandelt sie doch gleichzeitig ununterbrochen. Denn Kultur ist vor allem: eine große Idee.

Kulturen erfinden sich ständig neu

"Kultur ist identitätsstiftend", sagt Martin Puchner, Literaturwissenschaftler an der Harvard University. "Aber wenn man aus der Vogelperspektive drauf guckt und sich diese einzelnen Kulturtraditionen anguckt, selbst da nur so ein bisschen an der Oberfläche kratzt, dann merkt man, dass sich jede Kultur wieder aus Versatzstücken anderer Kulturen zusammensetzt. Und das ist es, was mich interessiert hat, zusehen, wie hat das funktioniert, dass sich Kulturen eigentlich ständig in so einem Recycling-Projekt neu finden." 

Ein Mann steht in einer Bibliothek
Literaturwissenschaftler Martin Puchner von der Harvard University | Bild: BR

Doch nun soll all das nicht mehr gelten. Die Regierenden in den Vereinigten Staaten wollen nichts Fremdes. Ausländische Studierende müssen um ihren Aufenthaltsstatus fürchten. Die Universitäten, allen voran Harvard, werden zu Feinden erklärt. Noch einmal sprechen wir mit Martin Puchner: "Das geht Richtung Ethno-Nationalismus. Klar werden da so bestimmte Feindbilder von den Exzessen der Links-Progressiven vorgehalten. Jetzt auch wieder in dem Brief an Harvard. Und, wie gesagt, da ist leider auch immer so ein Fünkchen Wahrheit dran. Aber das Gegenmodell ist natürlich völlig inakzeptabel."

Das Christentum kommt nicht Europa - sondern aus dem Nahen Osten

Ideen und Vorstellungen aber wandeln sich jenseits von geopolitischen Grenzen und Nationalitäten. In seinem Buch erzählt Puchner davon. Ägypten. Alexander der Große, der Grieche, erobert 332 vor Christus das Land. Er tritt vor das Orakel von Siwa und wird, ja: Pharao. Eine schamlose Aneignung! Die Götterwelt beider Kulturen verändert sich. 

Eine Sphinx
Der Grieche Alexander der Große wird: Pharao | Bild: BR

Die Griechen übernehmen auch die Bibliothek, die Astronomie, das Kalenderjahr: 365 Tage, 12 Monate. Ideen entwickeln sich, definieren eine Kultur und werden abgelöst von neuen Ideen. "Das Christentum kommt nicht aus Spanien und Europa, das kommt aus dem Nahen Osten", sagt Puchner. "Man kann sehen, wie sich im christlichen Mittelalter die Universitäten ganz stark aus dem arabischen Raum beeinflusst werden. Im Grunde kommt die Idee einer Universität aus Bagdad, aus dem 8., 9., 10. Jahrhundert. Da werden ganz strategisch indische Mathematik, persische Geschichten, griechische Philosophie übersetzt, gebündelt, gesammelt und weiterentwickelt. Und das kommt dann nach Europa. Also auch das europäische Christentum, wenn es sich abgrenzt, ist ganz stark davon beeinflusst." 

Plötzlich werden lauter Verbotsschilder aufgestellt

Kultur ist Heimat. Bräuche, Rituale, Sprache. Sie dienen dem Zusammenhalt nach innen und der Abgrenzung nach außen. Dieses: Das bin ich! Zu jeder Identität gehört aber auch: Der Dialog mit dem anderen. "Letztendlich ist, glaube ich, bei dem Begriff der kulturellen Aneignung ein bisschen was schief gelaufen, weil nämlich plötzlich lauter Verbotsschilder aufgestellt wurden und ich gemerkt habe, dass gerade die jüngeren Studierenden wahnsinnig verunsichert sind, was dürfen sie überhaupt noch? Zum Beispiel ist eine weiße Studierende zu mir gekommen, die hat sich für das japanische NO-Theater interessiert und hat plötzlich gefragt, wen muss ich hier um Erlaubnis bitten, damit ich mich damit beschäftigen darf?"  

Ägyptische Bildzeichnungen
Identität als Abwertung der Anderen | Bild: BR

Wer sind wir und wer wollen wir sein? Wer gehört dazu und wer nicht? Der Versuch der Populisten geht so: Identität, Zugehörigkeit, das große Wir, wird beschworen durch Abwertung der Anderen. Kulturkampf ist die Idee davon, dass Kultur "rein" gehalten werden muss. Nicht nur die gewaltbereiten MAGA-Anhänger verleugnen, was in der Unabhängigkeitserklärung steht: "All men are created equal."

Was bedeutet es, Amerikaner zu sein?

"Es gibt eben auch das andere Amerika, das multikulturale Amerika, in dem es ganz starken asiatischen Einfluss gibt", sagt Puchner. "In dem über die Sklaven afrikanisches Kulturgut nach Amerika gekommen ist und auch wichtig wie zum Beispiel dem Jazz usw. Das ist eben eine andere Tradition, die wird versucht, wieder an den Rand zu drängen. Es gibt da einen Kulturkampf in Amerika, um verschiedene Kulturtraditionen, was es bedeutet, Amerikaner zu sein."  

Ein Mann gibt ein TV-Interview
Martin Puchner, Autor "Kultur. Eine neue Geschichte der Welt" | Bild: BR

Der Mensch und seine Kultur-Geschichte ist auch das: Ausbeutung, Abwertung, Zerstörung. Denkverbote. Ich: ja. Du: nein. Die Taliban schrecken im Jahr 2001 nach Christus nicht davor zurück, die berühmten riesigen Buddha-Statuen von Bamiyan zu zerstören, um eine Kultur auszulöschen. "Die Römer haben die Griechen militärisch besiegt und ganz brutal besiegt. Die haben Korinth dem Erdboden gleichgemacht, und alle Männer umgebracht. Aber gleichzeitig haben es die Griechen geschafft, ihre Kultur als Lehrer und Übersetzer und Kulturschaffende nach Rom zu bringen. Und das hat dazu beigetragen, dass diese Kultur, die militärisch am Ende war, überlebt hat." 

Feinddenken kann nur zerstören

Was für ein Triumph! Im Desaster. Unsere Ideengeschichte ist Verwandlung. Immer. Abwehr, Aneignung und Austausch. Nun soll das in den USA unmöglich gemacht werden. Antidemokratisch ist das, geschichtsvergessen und ziemlich ignorant. "Das wäre noch vor ein paar Wochen völlig unvorstellbar gewesen", sagt Martin Puchner. "Das ist ein Wahnsinn, weil es eben auch so ein Racheakt ist. Weil es niemandem nützt, weil es die USA ins eigene Fleisch schneidet. So eine Selbstdemontage."

Ägyptische Figuren an einer Wand
Unsere Ideengeschichte: Aneignung und Austausch | Bild: BR

MAGA – das ist: brachiale Selbstverzwergung. Doch aus Martin Puchners klugem Buch lernen wir: Ideen, Traditionen gehen unter, tauchen wieder auf. Feinddenken kann nur zerstören. Wir vergessen es zu oft: Unter uns dieselbe Erde und über uns grenzenloser Himmel.

BUCHTIPP
Martin Puchner: "Kultur. Eine neue Geschichte der Welt", Klett-Cotta Verlag 

Autorin: Angelika Kellhammer

Stand: 25.05.2025 20:02 Uhr

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Bayerischer Rundfunk
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