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Versprechen gebrochen

Das Drama der von Deutschland im Stich gelassenen Ortskräfte aus Afghanistan

Versprechen gebrochen – Im Stich gelassenen Ortskräfte aus Afghanistan | Video verfügbar bis 14.09.2027 | Bild: hr

August 2021. Verzweifelte Menschen am Flughafen Kabul. Sie wollen fliehen vor den Taliban, die Afghanistan erneut erobert haben. Vier Jahre später scheinen diese Bilder vergessen – nicht aber bei denen, die damals um ihr Leben rannten. Hadia Armaghan erinnert sich: „Die Taliban haben geschossen und mein Sohn hatte sehr Angst.“ Nach dem überhasteten Abzug der westlichen Truppen gab es noch einzelne Evakuierungsflüge. Armaghan versuchte erneut aufs Rollfeld zu kommen: „Dieses Mal gab es keine Schüsse, sondern Tränengas.“ Sie brauchte drei Anläufe, bis sie sich mit ihrer Familie retten konnte, in ein belgisches Militärflugzeug: „Und dann haben wir es geschafft mit dem letzten Flugzeug nach Brüssel zu fliegen.“

Die Journalistin und Lyrikerin gehört zu jener Generation, die ein anderes Afghanistan schaffen wollten: offen, rechtsstaatlich, mit einer Stimme für Frauen. Menschen wie ihr gab die deutsche Bundesregierung das Versprechen, sie zu schützen und rauszuholen. Im Interview mit „ttt“ berichtet sie: „Ich habe in Afghanistan für die Deutsche Bundeswehr gearbeitet und dann habe ich als Moderatorin im Fernsehen gearbeitet. Und danach habe ich als Menschenrechtsaktivistin in der Menschenrechtskommission in der Frauenabteilung gearbeitet.“

Tausende warten trotz deutscher Aufnahmezusage auf ihr Visum

Heute lebt Armaghan in Berlin. Tausende andere, die sich auch für Demokratie einsetzten, Ortskräfte der Bundeswehr, Kulturschaffende, Menschenrechtsaktivisten, warten bis heute, dass die Bundesregierung ihre Aufnahmezusagen einlöst. Hadia Armaghan setzt sich für sie ein, ganz besonders für die Frauen: „Ich schreibe Gedichte über Frauen in Afghanistan. Ich rede in den Medien über Frauen in Afghanistan. Ich weiß, das ist keine große Hilfe, aber ich muss über Frauen in Afghanistan immer schreiben, immer reden, immer sagen, dass die Welt die afghanischen Frauen nicht vergessen muss.“

Weil die deutsche Botschaft in Kabul geschlossen ist, sind tausende Afghanen nach Pakistan gereist. Die hier in Aussicht gestellten Visaverfahren wurden aber zwischenzeitlich eingestellt. Seit vielen Monaten sitzen mehr als 2000 Menschen fest. Die neue Bundesregierung fühlte sich nicht mehr an die Zusagen gebunden. Matthias Lehnert koordiniert ein Anwaltsteam, das Betroffene unterstützt und weiß: „Diese Aufnahmezusagen oder Aufnahmeerklärungen beinhalten, das Versprechen in Deutschland leben zu können, weil Deutschland ihnen Schutz versprochen hat. Man kann nicht Versprechungen machen, man kann nicht Zusagen machen, an die man sich später nicht hält. Und dementsprechend ist es humanitär eine Katastrophe, wenn man die Menschen zurücklässt. Es ist moralisch beschämend, wenn man Menschen etwas verspricht, aber es nicht hält. Das weiß jedes Kind oder sollte jedes Kind wissen. Es ist aber auch rechtsstaatlich nicht tragbar.“

Schwerer Vorwurf an die Bundesregierung

Und deshalb verklagt der Anwalt Matthias Lehnert im Namen einiger Betroffener die Bundesregierung – mit Erfolg. In dutzenden Fällen verpflichteten die Gerichte die Regierung zur Visaerteilung; 47 Menschen durften Anfang September einreisen. Einzelfälle – die Mehrheit sitzt weiter fest. Der Anwalt erhebt den Vorwurf, die Regierung verfolge eine Hinhaltetaktik und halte sich an Recht und Gesetz nur wenn es ihr passe: „Die Bundesregierung hat mehr als 30 Niederlagen vor Gericht kassiert. Und an sich würde ich dann in einem Rechtsstaat erwarten, dass die Bundesregierung nach derart vielen gerichtlichen Niederlagen ihre Politik grundsätzlich überdenkt und einen Kurswechsel einleitet. Aber genau das passiert nicht. Die Bundesregierung will weiterhin das Verfahren verzögern und will weiterhin sich ganz, ganz viel Zeit nehmen, obwohl das Verwaltungsgericht Berlin an sich in vielen Einzelfallverfahren gesagt hat, das muss jetzt ganz, ganz schnell gehen.“

Pakistan schiebt Taliban-Flüchtlinge nach Afghanistan ab

Denn in Islamabad sind sie nicht mehr sicher. Pakistan schiebt jetzt rigoros alle Afghanen ab, teilweise sogar trotz deutscher Aufnahmezusage, nach Afghanistan, wo sie in großer Gefahr sind. Die pakistanische Regierung vertraut offenbar nicht mehr darauf, dass die Deutschen sich noch kümmern. Es gibt Razzien in den Gästehäusern, davon berichtet Eva Beyer von der NGO „Kabul Luftbrücke“, sie ist gerade vor Ort und schickt uns Bilder und aktuelle Eindrücke: „Wir sehen auch, dass die Polizei extrem brutal vorgeht bei den Razzien. Es werden Türen eingeschlagen, es werden Fenster eingeschlagen. Wer die Tür nicht öffnet, muss damit rechnen, dass Gewalt angewendet wird. Die Leute sind diesem Vorgehen schutzlos ausgeliefert. Das heißt, weder die Botschaft noch wir können da etwas ausrichten.“ 200 der Abgeschobenen haben sich mit einem verzweifelten Brief an die Bundesregierung gewandt. Sie kämpfen um ihr Leben, schreiben sie.

Der Kanzler sagt: Man nehme das sehr ernst, aber zuerst müssten in jedem Einzelfall Sicherheitsprüfungen stattfinden. Innenminister Dobrindt will das gründlich machen, und das könne Monate dauern. Unsere Anfrage beantwortet das Innenministerium nicht. Das Auswärtige Amt teilt uns mit: „Die Visavergabe fußt auf Recht und Gesetz. Eine baldige Wiederaufnahme der Sicherheitsinterviews ist in Umsetzung. Personen, (…)  bei denen keine Sicherheitsbedenken vorliegen, (…) werden weiterhin die Möglichkeit erhalten, nach Deutschland einzureisen. Matthias Lehnert sagt, es gibt diese Sicherheitsprüfungen längst, bei rund 900 Personen sind sie abgeschlossen; es fehlt nur das Visum. Er hält das Agieren der Regierung für parteipolitisch motiviert: „Auf dem Rücken dieser Menschen einen innenpolitischen Kampf auszuführen, nur um Bilder zu vermeiden, nur um Vorwürfe von rechts zu vermeiden, dass man eine ach so offene Migrationspolitik betreibt. Das finde ich menschlich zutiefst beschämend und ist eben auch rechtsstaatlich ein Armutszeugnis.“

„Opfert nicht die Menschen für Politik!“

Zudem gibt es in Pakistan eine neue problematische Entwicklung, von der NGOs wie „Kabul Luftbrücke“ berichten. Trotz gewonnener Gerichtsbeschlüsse erteile die deutsche Bundesregierung keine weiteren Visa, sondern entziehe sogar die Zusagen. Gleichzeitig habe die pakistanische Polizei die Vorgabe, pro Tag hunderte Afghanen abzuschieben, so Eva Beyer: „Wir beobachten aktuell, dass viele Familien, die ihr Verfahren gewonnen haben, wo die Gerichte ganz klar sagen, dass diesen Personen Visa ausgestellt werden müssen. Und zwar nicht nur in der ersten Instanz, sondern auch nicht mehr anfechtbar in der zweiten Instanz des Oberverwaltungsgerichts, sehen wir, dass diese Familien im Nachhinein die Aufnahme zu sagen entzogen werden. Das hat zur Folge, dass diese Personen die Unterstützung der GIZ verlieren und in sieben Tagen die Unterkunft verlassen müssen. Das heißt, dass sie hier in Islamabad auf der Straße sitzen, illegal sind, weil sie keine gültigen Visa mehr haben. Und vermutlich sogar schon vorher, bevor sie überhaupt aus der Unterkunft rausgeworfen werden, abgeschoben werden.“

Hadia Armaghan hält Kontakt zu vielen Familien in Islamabad und Afghanistan. Sie sagt, Sie will die Stimme sein, für alle, die unter den Repressionen der Taliban leiden und für die, die jetzt zum Spielball der deutschen Politik geworden sind. Im Interview mit ttt fordert sie: „Ich sage, opfert nicht die Menschen für Politik, opfert nicht die Frauen für Politik. Wir sind nicht Zahlen, wir sind Menschen, wir sind Leben, wir sind Hoffnung. Wir haben Kinder.“ In einem ihrer Gedichte schreibt sie über eine Frau, die im Gefängnis zu Tode gefoltert wurde. Sie war über alle Maßen verliebt, aber man hat ihr den Mund mit einer Kugel gestopft.



Bericht: Sven Waskönig

Stand: 15.09.2025 10:29 Uhr

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