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Das Ende der Traumfabrik?

Der Doppelstreik in Hollywood und seine Folgen

PlaySchauspieler Richard Gere ist ein prominentes Gesicht des Streiks.
Ende der Traumfabrik? – Streik in Hollywood und seine Folgen | Video verfügbar bis 17.09.2024 | Bild: dpa

Streik, seit Monaten – und kein Ende in Sicht. Hollywoods Autoren und Schauspieler verweigern die Arbeit.

Hollywood-Größen unterstützen größten Streik seit Jahrzehnten

Streik in Hollywood: Akute Not und Angst, von der KI ersetzt zu werden
Streik in Hollywood: Akute Not und Angst, von der KI ersetzt zu werden | Bild: ttt

Auch Top-Stars wie Richard Gere marschieren mit. In einem seiner Statements heißt es: "Das hier ist Krieg, und er vereint uns alle, die Guten und die Bösen. Wenn man sieht, wie die Studiobosse Hunderte von Millionen machen – und diese Leute leben von der Hand in den Mund!"

Danach wirft Gere eine Million in die Streikkasse. Solidaritätsadressen kommen auch von anderen Hollywood-Größen, wie Regisseur Steven Spielberg, "Breaking Bad"-Star Aaron Paul oder Susan Sarandon.

Sie alle wollen ihren Job machen und die Welt unterhalten. Es ist ein sehr profitables Geschäft. Aber nicht für alle. Die Autoren und Schauspieler wollen ihren Anteil: bessere Verträge, höhere Gagen, Inflationsausgleich. Kurzum: Eine faire Bezahlung. 95 Prozent der 160.000 Mitglieder der Schauspielergewerkschaft SAG-AFTRA können nicht von ihren Honoraren leben.

Akute Not und Angst vor KI: "Das ist keine Science-Fiction!"

Duncan Crabtree-Ireland, Verhandlungsführer SAG-AFTRA im ttt-Gespräch
Duncan Crabtree-Ireland, Verhandlungsführer SAG-AFTRA im ttt-Gespräch | Bild: ttt

Viele treibt akute Not auf die Straße. Und Angst – angesichts des Siegeszugs der Künstlichen Intelligenz. Für Duncan Crabtree-Ireland, Verhandlungsführer SAG-AFTRA, hat die KI das Filmgeschäft schon jetzt verändert: "Wo uns AI hinführt, weiß keiner. Aber schon jetzt arbeitet die Industrie bei vielen Spielfilm- und Fernsehproduktionen mit digitalen Doppelgängern von uns Schauspielern. Das ist keine Science-Fiction – es passiert schon jetzt."

Gestreikt wurde am Sunset Boulevard auch in der Vergangenheit. Nun hat sich der Streik auch auf die Videospielbranche ausgeweitet.

Eine Massenmobilisierung wie diese hat Hollywood noch nicht gesehen. Die Schockwellen gehen durch die ganze Filmwelt.

Studio Babelsberg meldet Kurzarbeit an, Warten auf "Dune"

Christine Berg, Vorsitzende des Hauptverbandes Deutscher Filmtheater
Christine Berg, Vorsitzende des Hauptverbandes Deutscher Filmtheater | Bild: ttt

Das Studio Babelsberg, ältestes Großatelier der Welt und noch vor kurzem Drehort vieler US-Produktionen, hat inzwischen Kurzarbeit angemeldet. Wo einst "Metropolis" entstand: Drehschluss. Auf unbestimmte Zeit. Und ein gerade erst eben vertriebenes Schreckgespenst ist zurück: Leere Kinos, weiße Leinwände. Diesmal nicht wegen Corona, sondern weil wegen des Streiks geplante Filmstarts ausfallen oder verschoben werden könnten.

Christine Berg, Vorsitzende des Hauptverbandes Deutscher Filmtheater, blickt ins Ungewisse, aber sieht im Hollywood-Streik auch eine Chance für die deutsche Filmindustrie: "Der erste Teil von 'Dune' war für den Herbst terminiert und ist jetzt auf März geschoben worden. Wir wissen nicht, wie lange der Streik dauert. Es ist im Moment ein schwarzes Loch, in das wir gucken. Wir wissen nicht, was da aus Hollywood kommt und wann es kommt. Ich glaube, dass darin aber auch eine Chance liegt – eine Chance für uns als deutsche Filmindustrie."

Kurz nach Corona: Neue Krise für das Kino?

Produzent Martin Moszkowicz, Constantin Film
Produzent Martin Moszkowicz, Constantin Film | Bild: ttt

Nur: Die Blockbuster aus Hollywood können deutsche Filme nicht ersetzen, auch wenn sie sich in den letzten Jahren immer mehr Marktanteile erkämpft haben. Der Streik in Hollywood trifft ebenso international aufgestellte deutsche Filmfirmen. Die traditionsreiche Constantin Film aus München ist so ein Global Player – mit Adresse auch in Los Angeles.

Produzent Martin Moszkowicz von Constantin Film sieht in der aktuellen Situation die nächste große Kino-Krise nach der Pandemie: "Wir haben eine riesige Kostensteigerung, wir haben Krieg in Europa, zwei große Filmmärkte sind praktisch weggefallen: China und Russland. Wir kommen aus einer Zeit, wo wir zwei Jahre lang mehr oder weniger geschlossene Kinos hatten. Wir haben gerade angefangen, uns von diesem Problem zu erholen – und jetzt kommt das nächste Problem."

Pro & Contra KI: Mächtige Tools für digitale Doubles

Für die Streikenden hat das Problem zwei Buchstaben: KI. Der magisch verjüngte Indiana Jones, die Queen und Marilyn Monroe auferstanden von den Toten, neu gerechnet von Künstlicher Intelligenz. Das Kino hat immer mit Illusionen gehandelt – dies ist der Vorstoß in eine völlig neue, ganz schön erschreckende Welt. In kürzlich bei TikTok aufgetauchten Videos von Tom Cruise hat KI den mittlerweile 58-jährigen Top Gun-Helden wieder jung gerechnet. Das sinn- und geschmacksfreie Fake-Filmchen zeigt, was so alles schon geht. Ein anderer Hollywoodstar, vielmehr sein Avatar, warnt das Publikum: "I am not Morgan Freeman. What you see is not real."

"Diese Tools sind wahnsinnig mächtig und werden unsere Branche, wie auch alle anderen Branchen, massiv verändern", sagt Produzent Moszkowicz. Aber er glaubt, auch im guten Sinne: "Es ist dringend notwendig, dass wir zu ethischen Rahmenrichtlinien kommen. Ich glaube, wenn man es reguliert, ist KI eine wirklich gute Sache für unsere Branche."

US-Gewerkschaft: "Es muss Regulierung geben"

Duncan Crabtree-Ireland führt im Streik der US-Schauspieler-Gewerkschaft die Verhandlungen mit den großen Filmstudios. Er ist überzeugt: "Die Studios träumen davon, unser Bild zu kontrollieren, es sich anzueignen und digitale Repliken von uns herzustellen. Wir sperren uns nicht gegen den Gebrauch neuer Techniken in der Filmindustrie. Aber es muss Sicherheitsregeln, es muss Regulierung geben."

Bundesverband Schauspiel: KI verstößt grob und permanent gegen Urheberrecht

Hans-Werner Meyer, Bundesverband Schauspiel
Hans-Werner Meyer, Bundesverband Schauspiel | Bild: ttt

Transatlantische Solidarität: In Deutschland kämpft der Bundesverband Schauspiel für ein EU-Urheberrecht, das Schauspieler vor den räuberischen Risiken künstlicher Intelligenz schützt – so wie Schauspieler und Vorstandsmitglied Hans-Werner Meyer: "Momentan lernt KI ungeregelt von urheberrechtlich geschütztem Material. Es wird nichts vergütet, es wird nichts gekennzeichnet und dadurch werden die Urheber jetzt schon in großem Stil enteignet. Und es geht darum, dass sie nicht nur enteignet, sondern jetzt auch überflüssig gemacht werden durch KI."

Ein Schauspieler liefert nur noch sein Bild, die KI kombiniert es mit Archivmaterial und rechnet. KI erweckt Tote, verjüngt die Lebenden – und kostet die Produzenten keine Traumgagen.

"KI kein Ersatz für echte Schauspielkunst"

Auch in der deutschen Fußball-Familien-Tragikomödie "Wochenendrebellen" füllte Künstliche Intelligenz die Stadien, die während des Drehs in der Pandemie leer blieben. Die Helden, ein Vater und sein autistischer Sohn, sitzen trotzdem in einer vollen Arena. Der Münchner Produzent Max Wiedemann – auf sein Konto ging schon "Das Leben der Anderen" – setzte KI bewusst ein. Allerdings nicht bei den Schauspielern. "Wir haben sehr viel mehr Möglichkeiten, das Bild zu verändern. Aber die Schauspielkunst als solche ist eine so komplexe Kunst und verlangt ein so tiefes, kontextuales Selbstverständnis, dass es schon eine Künstliche Intelligenz bräuchte, die auf dem Level menschlicher Intelligenz wäre. Und wenn wir an dem Punkt sind, dann können wir alle nach Hause gehen."

Wenn das Kino digital träumt ...

Streik in Hollywood: Wie lange noch?
Streik in Hollywood: Wie lange noch? | Bild: ttt

Hollywood zu seiner Glanzzeit, Premierenpublikum vor dem legendären "Grauman's Chinese Theatre". Auch diese Bilder aus den Dreißiger Jahren: Wieder schön gerechnet von Computer-Algorithmen. Was bleibt von der Magie der alten Traumfabrik, was wird aus den Träumen, die sie uns bis heute verkauft, wenn das Kino digital träumt? Meyer zeigt sich optimistisch: "Man sitzt am Lagerfeuer und erzählt sich Geschichten, das ist ein urmenschliches Bedürfnis, daraus ist irgendwann auch der Film entstanden. Das hat nichts mit KI zu tun. Und dafür müssen wir auch künftig sorgen."

Filmproduzent Martin Moszkowicz hofft auf eine schnelle Einigung: "Man sollte jetzt schnell zu einem Ergebnis kommen und die Situation der Schauspieler und Autoren verbessern, und die aller anderen: Es sind ja Hunderttausende, Millionen von Mitarbeitenden auf der ganzen Welt, die derzeit ohne Arbeit sind."

KI ist in der Welt, um zu bleiben. Dass sie nicht auch Geist, Herz und Bewusstsein der Menschen erobert – auch darum geht es beim langen Streik in Hollywood.

 Autor: Andreas Lueg

Stand: 18.09.2023 11:11 Uhr

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Mitteldeutscher Rundfunk
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