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Der Friedenspreisträger Salman Rushdie

Ein Gespräch über das Attentat auf ihn und seinen Kampf für Freiheit, Wahrheit und Demokratie

PlaySalman Rushdie sitz auf einem Stuhl.
Der Friedenspreisträger Salman Rushdie | Video verfügbar bis 22.10.2024 | Bild: hr

Salman Rushdie ist zurück! Er ist der Star dieser Messe, Riesen-Presseaufgebot kurz vor der Verleihung des Friedenspreises – alle wollen wissen: Wie geht es ihm?

„Ich habe hier eine sehr gute Zeit. Ich verbringe sie ja ausschließlich mit Journalisten“, sagt Salman Rushdie. Sein Humor, seine Lebensfreude sind noch da. Körperlich aber ist er gezeichnet, von dem Angriff vor einem Jahr, bei dem er ein Auge verlor.

Am 12. August 2022 in Chautauqua, im US-Bundesstaat New York verübt ein amerikanischer Islamist ein Messerattentat auf ihn. Salman Rushdie überlebt nur knapp: „Es ist schon ein großer Einschnitt im Leben, wenn jemand versucht, dich zu töten.“ Seine Bücher hat der Angreifer nie gelesen.

New York ist seine Wahlheimat

„Es geht um die Frage, wie viel Wert messen wir heute dem menschlichen Leben bei? Wenn ein paar YouTube-Videos über jemanden ein ausreichender Beweggrund sind, ihn zu töten. Glücklicherweise hat er es nicht geschafft.“

ttt trifft ihn vor dem Messerummel in New York – Seit zwanzig Jahren seine Wahlheimat, in der er zuletzt ein einigermaßen „normales“ Leben führen konnte. Bis die Vergangenheit ihn einholt: Der lange Schatten der „Fatwa“, die der iranische Ayatollah Khomeini 1989 gegen ihn aussprach. Er forderte die gesamte muslimische Welt dazu auf, Rushdie hinzurichten. „Der Hass wurde von fanatischen Führern geschürt. Es war eine schwierige Zeit“, sagt Salman Rushide.

Als Grund galt ihnen dieser eine Roman: „Die Satanischen Verse“. Radikale Islamisten verbrennen ihn in England, wo Salman Rushdie damals lebt. Sie werfen ihm Gotteslästerung vor. Todesdrohungen auf der ganzen Welt, „Rushdie soll hängen“, „Ich töte ihn“. Literaturstar Salman Rushdie muss untertauchen. 56 Mal wechselt er die Adresse. Der Roman prägt sein Leben jahrzehntelang. Einer seiner Übersetzer wird ermordet.

Literatur als Möglichkeit, eine andere Welt zu erschaffen

„Was mit diesem Buch geschah, ist ein frühes Beispiel dafür, was religiöser Extremismus auslösen kann. Im Roman selbst ging es mir um etwas ganz anderes“, erklärt Salman Rushdie. „Der größte Teil des Romans handelt von migrantischen, vor allem muslimischen Einwanderergemeinschaften im Osten Londons. Es war eine Zeit, in der es in England große Unruhen rund um Einwanderung gab, während der Thatcher-Jahre. Und dem wollte ich auf den Grund gehen. Der islamische Kram ist sehr zweitrangig. Es gibt da Traumsequenzen, die diese Leute gestört haben. Das sind Traumsequenzen von jemandem, der gerade verrückt wird. Das nennt man Fiktion.“

Geschichten erzählen, Imagination. Literatur als Möglichkeit eine andere Welt zu erschaffen – zu schreiben, das ist bei Rushdie existentiell. „Schriftsteller wurden schon immer von Mächtigen als Bedrohung wahrgenommen. Das ist eine sehr seltsame Sache, denn Schriftsteller haben ja keine Möglichkeit, ihre Meinung gewaltsam durchzusetzen. Aber irgendwie hat der autoritäre Geist große Angst vor dem freien Geist“, so Salman Rushdie.

„Schriftsteller sind keine Politiker. Sie sind keine Generäle. Es liegt in unserer Natur, zu träumen. Und Geschichten zu erzählen, damit diese dann auch zu den Träumen anderer werden können.“

Salman Rushides neuer Roman„Victory City“

Macht, Intrige, Religion, Freiheit. All das verhandelt Salman Rushdie in seinem neuen Roman „Victory City“. Eine Heimkehr zu seinen indischen Wurzeln, zu Erzähltraditionen, die seine Kindheit in Bombay geprägt haben. Die Hauptfigur, eine Frau zwischen Göttin und Mensch, will eine bessere Welt zum Leben erwecken.

Ein feministisches Epos, inspiriert von den unerzählten Geschichten des Vijayanagara-Reiches in Südindien, das im 14. Jahrhundert tatsächlich existierte. Und seiner Zeit weit voraus war. „Im Königreich Vijayanagara gab es beispielsweise fast so viele Schulen für Mädchen wie für Jungen. Es gab Dichterinnen, es gab Generalinnen, es gab Anwältinnen. Und als ich davon erfuhr, dachte ich, wie interessant – dass wir vor 700 Jahren fast besser waren als heute. Das musste ich also nicht einmal erfinden, es war alles schon da.“

Und doch geht Rushdies „Victory City“ bitter zugrunde. An Fundamentalismus und Fanatismus. Eine Parabel auf das hindunationalistische Indien? Oder auf westliche Gesellschaften?

„Die Zerstörung der Demokratie von innen“

Neben dem radikalen Islam sieht Rushdie heute eine zweite große Gefahr: „Ich glaube, dass all das, was wir aktuell erleben, Populismus, Autoritarismus und Demagogie – die Zerstörung der Demokratie von innen – auch sehr gefährlich sind.“

In westlichen Gesellschaften konnte man nie freier leben als heute. Doch welchen Wert hat diese Freiheit, wenn wir zulassen, dass in ihr auch Unmögliches möglich wird? „Über die Wahrheit kann man streiten, das haben die Menschen immer getan. Aber über Lügen kann man nicht streiten. Denn sie sind nachweislich nicht wahr.“

Wenn Lügen zu Wahrheiten und Wahrheiten – zum Beispiel Wahlergebnisse – zu Lügen erklärt werden – sei die Freiheit in Gefahr. „Was ist Wahrheit? Das ist zu einer Krise geworden, die von Populisten genährt wird, die die Welt absichtlich mit Lügen fluten. Wenn Menschen ihren Sinn für Wahrheit verlieren, kann der Demagoge, der populistische Anführer, sagen: Ihr müsst gar nichts glauben. Glaubt mir, denn ich bin die Wahrheit. Und so entsteht der Faschismus.“

Das Fundament des freien Wortes

Der immer einhergeht mit dem Angriff auf den freien Geist. Salman Rushdies letzter Satz in „Victory City“ ist: „Worte sind die einzigen Sieger.“ Die Wahrheit, die darin liegt, zeigt seine eigene Geschichte – aber auch die vieler verfolgter Schriftsteller weltweit.

„Egal auf welchem Kontinent, egal in welcher Sprache – wir sehen das überall. Ich denke: Bücher sind sehr widerstandsfähig. Wenn sie gut sind, überleben sie. Schriftsteller hingegen sind sehr verletzlich. Deshalb ist es so wichtig, die Schreibenden und das Schreiben zu verteidigen. Denn alle Freiheiten, die für uns Menschen maßgeblich sind, stehen auf dem Fundament des freien Wortes.“


Beitrag: Katja Deiß

„Victory City“
Salman Rushdie
Random House, 2023
26,00 Euro

Stand: 22.10.2023 20:14 Uhr

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