Mo., 14.08.23 | 00:00 Uhr
Das Erste
Le nozze di Figaro
Die schönste Musik gehört einem Dienstmädchen. Laut Libretto sucht sie eine Nadel. Der Missbrauch des Grafen: in einem Nebensatz angedeutet. Aber Mozart kennt ihre Verzweiflung.
"Wir haben eine Sehnsucht nach etwas, das wir nicht erreichen können"
Der Adel und seine Privilegien sind heute abgeschafft. Macht und Abhängigkeit nicht. Und die Liebe? Dieser Figaro hier lebt in einer modernen Welt. Drogen, Sex und Machtspiele. Es ist eine urbane Arena der Unverbindlichkeit und Kälte.
"Wir haben eine Sehnsucht nach etwas, das wir nicht erreichen können, wovon wir nur eine Ahnung haben und das macht Probleme", sagt Regisseur Martin Kušej. "Das ist nicht immer angenehm und man kann auch viel über Toleranz und Liberalität reden. Natürlich hat man wahrscheinlich im tiefsten Inneren trotzdem ein Problem, wenn – keine Ahnung – der Ehemann beschließt einen anderen Mann zu lieben oder umgekehrt. Da gibt es ja viele Kombinationsmöglichkeiten. Das wäre schon meine eigene Utopie, damit umzugehen und auch mit den Verletzungen umzugehen, die das in uns auslöst."
"Die Musik kitzelt den Zuhörer an den Fußsohlen"
Ungeliebt sein, betrogen, tut weh. Muss man mit sich allein ausmachen. Jeder mit jedem, bei Mozart war das durchaus eine politische Botschaft. Alle Menschen sind gleich. Sie suchen, wollen, fühlen. Sie haben Würde und sind lächerlich. Und am Ende ist die Dienerschaft hier souveräner.
"Es ist das erste Mal, dass er eine Ouvertüre pianissimo beginnt", sagt Dirigent Raphaël Pichon. "Die Musik kitzelt den Zuhörer sozusagen an den Fußsohlen, um zu sagen, hey, da kommt jetzt was. Dazu benutzt Mozart D-Dur, die Nobel-Tonart und entert sie, um sie ironisch zu brechen. Jetzt wird die herrschende Klasse, Macht und Ungleichheit in Frage gestellt."
Menschen, die nach etwas suchen, das sie nicht erreichen können
"Diese Arie kommt aus der Intimität", sagt die Sängerin Sabine Devieilhe. "Susanna liegt da und offenbart sich und Figaro ihre wahren Gefühle." Sich am anderen befriedigen, bringt Leid. Die Komödie: ausgetrieben. Stattdessen Jagd und Sumpf, in dem sich alle verirren.
"Das versuche ich zu erzählen: Dass Menschen große Gefühle haben, die einsam sind, die nach etwas suchen, was sie nicht erreichen können und so ist die Welt, leider", sagt Regisseur Martin Kušej. "Und ich bin da leider überhaupt nicht optimistisch, dass sich das großartig ändert. Es tut mir sehr leid, zu beobachten, dass die Liebe irgendwo verloren geht."
"Am Anfang ist alles Lüge", sagt Dirigent Raphaël Pichon. "Aber plötzlich ist da Wahrheit, Liebe und Verbundenheit." Liebe. Ohne Performance. Einfach so. Praktiziert keiner. Ersehnen alle. Mozart weiß Bescheid.
Autorin: Angelika Kellhammer
Stand: 13.08.2023 20:20 Uhr
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