Mo., 14.08.23 | 00:00 Uhr
Das Erste
The Greek Passion
Am Ende muss er sterben. Der Mensch, der nach Liebe fragt. "Es ist ein Aufschrei, ein Aufruf an das Publikum. Was können wir tun?", sagt Dirigent Maxime Pascal.
Christen unter sich – doch dann kommen Flüchtende
Vorbereitungen auf das Passionsspiel, auf einer kleinen griechischen Insel. Christen unter sich. Doch dann kommen flüchtende Menschen an. Hungrig, verzweifelt. Die Dorfbewohner fürchten das Fremde, haben Angst um ihren Wohlstand. Nächstenliebe ist plötzlich Auslegungssache. Nur die Jünger und der Christusdarsteller sind bereit, zu helfen. In Traumsequenzen reflektiert er seine Sehnsüchte, seine Selbstsucht und die Lehre von Jesus Christus: Was du dem Geringsten meiner Brüder getan hast.
Ja, auch die Ankommenden sind Christen. Aber vielleicht verbreiten sie Krankheiten, stehlen und haben andere Werte. "Es gehört zum Menschen, dass er die Tragödie des Krieges wieder und wieder erlebt", sagt Pascal. "Deshalb ist das mit einem Passionsspiel verschränkt. Bei dem sich auch das Schreckliche wiederholt: Kreuzigung und Auferstehung, Kreuzigung und Auferstehung. Es ist das gleiche 'Immer wieder' wie bei den Menschen, die auf der ganze Welt im Krieg verfolgt werden."
Wieso kennt man diese Oper kaum – diese spannende Musik?
Wer lässt sich auf das ein: Liebe ohne Bedingung? Und oft vergeblich? Der Christus-Darsteller ist kein Heiliger, sondern ein Mensch, der um das Gute ringt. Er sieht das Unrecht und spricht es aus. Damit bedroht er die bestehende Ordnung und den mächtigen Popen."Wir sehen gerade jetzt so viele Politiker, zahlreiche Politiker, die sagen, dass sie Christen sind", sagt Regisseur Simon Stone. "Diese Heuchelei, die Religion benutzt als politische Waffe: Das ist das wogegen wir sprechen und was wir entblößen."
Wieso kennt man diese Oper kaum, diese spannende Musik? Dieses pessimistische Plädoyer für Humanität, das den Machern selbst, dem Dirigenten Maxime Pascal und dem Regisseur Simon Stone, so sehr unter die Haut geht. "Ich glaube das Stück sagt: mehr Kontakt haben, mehr Erfahrung haben mit den Anderen", sagt Stone. "Sich mischen und nicht: sich zurückzuziehen. Wir verlieren gerade so viel Dialog, gerade jetzt, politisch, weil alle sagen: Ihr seid böse, ihr seid böse. Und es gibt keinen Austausch mehr."
Die Fremden fliehen, wir behalten unsere Privilegien
Am Ende ist der Darsteller des Christus tot. Ganz ohne Passionsspiel. Ermordet von einer vom Popen aufgehetzten Menge. Zuviel schien in Gefahr: Besitz, Macht, Wohlstand. "Jeden Tag, an dem wir hier proben, stelle ich mir die Frage: Was kann ich tun, was sollte ich tun? Das ist das Werk. Das Werk stellt diese Frage", sagt Dirigent Maxime Pascal. Und Regisseur Simon Stone ergänzt: "Das Stück ist ein Klassiker und es ist so traurig, das es so einen Klassiker gibt, der über diese Themen spricht und wir haben nichts davon gelernt."
Am Ende müssen die Fremden fliehen, müssen weg, damit die anderen ihre Privilegien behalten. Die Ordnung ist wiederhergestellt. Das Leben geht weiter. Die Schwimmwesten sind entsorgt.
Autorin: Angelika Kellhammer
Stand: 13.08.2023 20:21 Uhr
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