Mo., 14.08.23 | 00:00 Uhr
Das Erste
Liebe
Was ist das: Liebe? Was bleibt von ihr, wenn sich ein geliebter Mensch langsam auflöst? Die Endlichkeit nicht mehr nur ein Begriff ist, sondern jeden Tag gnadenlos mehr Macht erlangt. Wie das Leid ertragen?
Ein Schlaganfall zerstört die glückliche Ehe
"Liebe zeichnet sich vielleicht erst aus, wenn es schwierig und hart wird und wenn man nicht mehr durch die Straßen flanieren und die Frühlingssonne genießen kann", sagt Schauspielerin Katharina Bach. "Sondern, wenn man vielleicht nur noch an die Wohnung gebunden ist und nicht, weil man es will, sondern weil es nicht mehr anders geht. Und wie strapazierfähig ist die Liebe?"
Anne und George, seit Jahrzehnten ein Ehepaar, ihr Interesse aneinander, ihre Zuneigung konnten sie bewahren. Eines Morgens zerstört ein Schlaganfall alles. Der Beginn des unabwendbaren Verfalls. Beide kämpfen. Sie mit dem Verlust aller körperlicher Fähigkeiten, der eigenen Hilflosigkeit. Er erdrückt von seiner eigenen Fürsoge, dem Zerfall jeglicher Normalität. "Das ist die totale Überforderung bis hin zum Wahnsinn", sagt Schauspieler André Jung. "Ich habe das Gefühl, dass es da ganz schön in der Seele und im Kopf rumort. Er ist auf jeden Fall in einer anderen Welt, in seiner Welt."
Wer ist es, den man liebt?
Karin Henkels Inszenierung basiert auf Michael Hanekes Film "Liebe", vielfach ausgezeichnet. Haneke erschuf ein stilles, sehr intimes Kammerspiel, in dem sich die gemeinsame Einsamkeit, die Überforderung stetig ausdehnt. Und auch die große Frage nach dem freien Willen, dem selbstbestimmten Tod verhandelt wird.
Wer ist es, den man liebt? Die Momentaufnahme eines Menschen oder vielmehr seine Summe? Auch das was er einst gewesen ist und nicht mehr sein kann? Zwischen Aufopferung und Qual keimt irgendwann diese Frage: Darf man sich wünschen, dass der geliebte Mensch stirbt – jetzt, gleich? Alles kulminiert in diesen einen Moment, einer Affekthandlung des Ehemannes.
"Mord oder Liebe? Das ist die große Frage"
"Mord oder Liebe? Das ist die große Frage", sagt Bach. "Ist es Erlösung? Ist es seine eigene Überforderung? Oder sieht er das große Leid und ist so symbiotisch mit seiner Frau, dass er spürt und weiß, dass sie nicht mehr möchte? Und wenn es natürlich Sterbehilfe geben würde, die erlaubt ist, müsste es nicht auf diesem Wege geschehen."
"Es kann durchaus ein Akt der Liebe sein", sagt Jung. "Ich weiß, was ich für mich wollte, dass jeder Mensch die Möglichkeit hat, ein für ihn nicht würdiges Leben würdig zu beenden." Das gemeinsame Spiel von Katharina Bach und André Jung: herausragend. Und doch bleibt der Blick auf die Fragilität, die Ambivalenzen der Liebe in der Inszenierung etwas vage. Dafür gelingt aber dies: ein präziser Diskurs über die Verdrängung von Krankheit und Verfall.
Autorin: Gabriele Pfaffenberger
Stand: 13.08.2023 20:22 Uhr
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