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Bluttransfusion: Neue Maßnahmen sparen Blut ein

Blutbeutel an einem Infusionsständer
Bluttransfusionen können ein Risikofaktor sein. | Bild: SWR

"Ein Blutbeutel ist kein Blutbeutel!" Nach diesem Motto verabreichten Ärzte früher Bluttransfusionen. Bei Operationen gaben sie sicherheitshalber eher zu viel als zu wenig Fremdblut. Heute wird sparsamer mit Blut umgegangen. Trotzdem liegt Deutschland im internationalen Vergleich immer noch auf einem der Spitzenränge, mit fast vier Millionen Transfusionen pro Jahr. Einige Mediziner sagen: Das sei zu viel. Denn Studien weisen darauf hin, dass Fremdblut das Risiko erhöht, zu erkranken oder gar zu sterben.

Weiße Blutkörperchen können Abwehrreaktion auslösen

Öffnung des Brustkorbs bei einer Herz-OP
Während der OP wird Wundblut wieder aufbereitet. | Bild: SWR

Jede Bluttransfusion gleicht einer kleinen Organtransplantation. Der Grund: Das Blutpräparat kann trotz Filterung immer noch einige weiße Blutkörperchen des Spenders enthalten. Diese werden vom Immunsystem des Empfängers als fremd erkannt und können eine Abwehrreaktion auslösen. Mögliche Symptome sind zum Beispiel Fieber und Schüttelfrost. Das Immunsystem gerät durch das Fremdblut unter Stress – das kann gerade nach einer Operation gefährlich sein. "Die Folgen sind ein höheres Infektionsrisiko für die Patienten", sagt Prof. Kai Zacharowski, Direktor der Klinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin und Schmerztherapie des Universitätsklinikums Frankfurt. "Wenn das Immunsystem nach unten reguliert ist und man ist mit Bakterien und Erregern konfrontiert, dann haben die bessere Chancen, sich im Körper zu vermehren und auszubreiten und eine Krankheit zu verursachen."

Studien weisen darauf hin, dass sich das Risiko für Lungenentzündung, Herzinfarkt und Nierenversagen bei Fremdblut-Empfängern erhöht im Vergleich zu Patienten, die kein Fremdblut erhalten haben. Laut Kritikern handelt es sich hierbei nur um statistische Zusammenhänge, die nicht beweisen, dass die Bluttransfusionen tatsächlich die Ursache waren. Alle Lager sind sich jedoch darüber einig, dass der Einsatz von Fremdblut reduziert werden sollte. Denn es ist in jedem Fall eine knappe Ressource.

Blut sparen, aber wie?

Arzt zeigt neue kleine Blutentnahmeröhrchen
Mit kleineren Blutabnahmeröhrchen wird Blut gespart. | Bild: SWR

Die Uniklinik Frankfurt hat zu diesem Zweck ein sogenanntes Patient Blood Management System eingeführt. Es umfasst insgesamt 100 Maßnahmen. Beispielsweise werden rechtzeitig vor einer geplanten Operation die Blutwerte der Patienten untersucht. Etwa 30 Prozent leiden an einer Blutarmut (Anämie). Sie benötigen während des Eingriffs normalerweise häufiger Bluttransfusionen. In Frankfurt wird das Blut dieser Patienten in den Wochen vor der Operation systematisch "aufgebaut", etwa durch Eiseninfusionen. Dadurch verbessern sich ihre Blutwerte – und auf eine Bluttransfusion kann im besten Fall verzichtet werden.

Auch während der Operation wird Blut gespart. Ein Gerät, der sogenannte Cell-Saver, bereitet das vom Patienten verlorene Blut wieder auf und leitet es in den Körper zurück. Auch mit einer umgebauten Herz-Lungen-Maschine kann Fremdblut eingespart werden.

Durch all diese Maßnahmen verbrauchen die Ärzte der Uniklinik Frankfurt bis zu 40 Prozent weniger Blutkonserven. Inzwischen wurde das Patient Blood Management an 100 Kliniken in Deutschland eingeführt.

Europa: Blutverbrauch in Deutschland am höchsten

Laut dem EDQM (Europäisches Direktorat für die Qualität von Arzneimitteln) wurden in Deutschland 2015 pro 1.000 Einwohner 47,7 Blutkonserven (Erythrozyten-Konzentrate) transfundiert, mehr als in den anderen europäischen Ländern. Woran liegt das? Kritiker sehen den Grund in den Besonderheiten des deutschen Transfusionssystems. Speziell ausgebildete Transfusionsmediziner nehmen Blutspenden entgegen, bereiten das Blut auf, verwalten die Datenbanken und verfassen, gemeinsam mit anderen Ärzten, die Richtlinien und Leitlinien, die bestimmen, wie viel Blut transfundiert wird. Dies sei eine zu enge wirtschaftliche Verflechtung, so der Vorwurf der Kritiker.

Der ärztliche Leiter des Instituts für Transfusionsmedizin in Mannheim, Prof. Harald Klüter, wehrt sich gegen diesen Vorwurf. Dass in Deutschland mehr Blut verbraucht werde als anderswo, liege an der hohen medizinischen Versorgungsqualität: "Denken Sie an die Knochenmarkstammzelltransplantation, die wir bei uns mittlerweile bis zu einem hohen Lebensalter durchführen, an die Behandlungen in der Herzchirurgie, wo wir herzchirurgische Eingriffe auch noch bei über Achtzigjährigen durchführen. Das mögen alles Aspekte sein, weshalb wir in Deutschland im Vergleich zu allen europäischen Ländern einen höheren Bedarf an Blutpräparaten haben." Insgesamt sei der Bedarf an Fremdblut in den letzten Jahren um fast 25 Prozent gesunken.

Auf eine Anfrage der Fraktion "Die Linke", warum Deutschland im Vergleich so viel Fremdblut benötige, antwortete die Bundesregierung im Sommer 2018 wie folgt: "Weitere Gründe für die Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten sind vielschichtig und nicht genau untersucht..."

Adressen

Prof. Kai Zacharowski
Theodor-Stern-Kai 7
60596 Frankfurt am Main
Tel. (069) 63 01 59 98
E-Mail: kai.zacharowski@kgu.de

Patrick Meybohm
Theodor-Stern-Kai 7
60596 Frankfurt am Main
Tel. (069) 63 01 59 98
E-Mail: patrick.meybohm@kgu.de

Prof. Harald Klüter
Institut Mannheim
Friedrich-Ebert-Str. 107
68167 Mannheim
Tel. (0621) 370 68 17

Buch-Tipp

Patient Blood Management
Hanz Gombotz, Kai Zacharowski, Donat R. Spahn
Thieme, Stuttgart, 2018
978-3-13-241077-0
99,99 €

Autorin: Legisa Sonja (SWR)

Stand: 18.05.2019 10:51 Uhr

Sendetermin

Sa., 18.05.19 | 16:00 Uhr
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Produktion

Norddeutscher Rundfunk
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