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Insektenzählung: Wie viele gibt es noch?

Grashüpfer
Es gibt in Deutschland immer weniger Insekten. | Bild: hr

Fast die Hälfte der Insektenarten, die in der Roten Liste erwähnt werden, sind bestandsgefährdet, viele bereits ausgestorben. Weitere Arten werden zukünftig einer höheren Gefährdungskategorie zugeordnet werden müssen, sagen Wissenschaftler des Naturschutzbunds Deutschland. Um herauszufinden, wie es genau um die Insekten steht, hat der NABU eine Insektenzählaktion ins Leben gerufen und die Bevölkerung um Hilfe gebeten.

Immer weniger Insekten

Im vergangenen Jahr hatte der NABU zum ersten Mal zur großen Zählung aufgerufen und zahlreiche Freiwillige beteiligten sich daran. Die Aktion hat einen äußerst ernsten Hintergrund. Es gibt in Deutschland immer weniger Insekten. Gaby Schulemann-Maier vom Verein Naturgucker wertet die Ergebnisse der aktuellen NABU-Insektenzählung aus. Sie hält das Bürger-Projekt für enorm wichtig. Es müssten dringend genaue Zahlen erhoben werden, um das Insektensterben auch tatsächlich belegen zu können, sagt sie.

Insekten zählen nach genauem Plan

Zwei Frauen halten eine Lupe und ein Handy in die Kamera.
Der NABU hat eine Insektenzählaktion ins Leben gerufen. | Bild: hr

Das Ziel ist eine Bestandsaufnahme der Insekten. Eine Woche lang zählten Bürger im Mai und Juni sowie eine weitere Woche im August nach einem vorgegebenen Schema  genau eine Stunde lang. Der Ort konnte selbst gewählt werden – etwa im Garten, im Wald oder am Wasser. Die Zählfläche war auf einen Radius von zehn Metern begrenzt. Für [W] wie Wissen beteiligten sich drei Paare und zählten an ganz unterschiedlichen Orten: Gabi und Ute in einem Naturgarten, Bernd und Hartmuth auf einem abgeernteten Acker und Luise und Simon auf einer Waldwiese. Mithilfe eines Vordrucks und einer Foto-App konnten sie die häufigsten Arten bestimmen. Gabi und Ute werden im Naturgarten schnell fündig: "Ich bin positiv überrascht über die Vielzahl an Honigbienen", erzählt Gabi. Fast noch erfreulicher ist, dass die beiden auch Wildbienen wie Hummeln im Garten entdecken. Denn Wildbienen sind in ihrem Bestand besonders bedroht.

Tristesse auf dem Acker

Bernd und Hartmuth sind für die Zählaktion auf einem Acker unterwegs. Auf der konventionell bewirtschafteten Fläche stand kurz zuvor noch Weizen. Nach der Ernte gleicht das Feld einer Wüste. Hier mal ein Tausendfüßler, dort eine Spinne – mehr entdecken die beiden Männer nicht. Bernd, der auch ehrenamtlicher NABU-Mitarbeiter ist, zeigt sich frustriert: "Es hat lange gedauert, bis wir überhaupt was gefunden haben. Und wenn, dann sind es nur relativ kleine Insekten, die erst nach der Ernte eingeflogen sind."

Hauptprobleme für Insekten: Monokultur und Pestizide

Hummel an einer Blüte
Wildbienen sind in ihrem Bestand besonders bedroht. | Bild: hr

Die intensive Landwirtschaft mit ihren Monokulturen fordert ihren Tribut. Die konventionelle Produktion ist hierzulande die häufigste Form der Flächennutzung. Knapp 17 Millionen Hektar und damit fast die Hälfte der Landesfläche in Deutschland wird landwirtschaftlich genutzt.  Hinzu kommt intensiver Pestizideinsatz. In Deutschland wurden in den vergangenen zehn Jahren jährlich etwa 15.000 Tonnen Herbizide und knapp 1.000 Tonnen Insektizide ausgebracht. Totalherbizide wie Glyphosat vernichten dabei die Ackerbeikräuter und damit die wichtigsten Nahrungs- und Nistmöglichkeiten für Insekten.

Viele Grashüpfer und Schmetterlinge auf der Waldwiese

Auf der Waldwiese haben Luise und Simon bei ihrer Zählaktion gut zu tun. Auf dem Boden herrscht reges Treiben. Besonders viele Grashüpfer leben auf diesem Stück weitgehend unberührter Natur und auch zahlreiche Schmetterlinge sind hier noch zuhause. Dabei  werden auch sie immer seltener. Allein in den vergangenen zehn Jahren ist der Bestand an Schmetterlingen – immerhin die zweitgrößte Insektengruppe nach den Käfern – um zehn Prozent zurückgegangen. Aber welche Arten wo besonders gefährdet sind, ist noch nicht ganz klar.

Forschungsobjekt: Wie viele Insekten von welcher Art gibt es genau?

Fangfallen in einem Naturschutzgebiet aus der Vogelperspektive.
Fangfallen in einem Naturschutzgebiet in Thüringen. | Bild: hr

Um das Insektensterben im Detail zu verstehen, braucht es streng wissenschaftliche Untersuchungen. Die Berliner Insektenforscherin Prof. Gerlind Lehmann will mit Fangfallen herausfinden, wie es um den Bestand von Fluginsekten steht. Und zwar in Naturschutzgebieten, die in der Nähe von konventionell bewirtschafteten Äckern gelegen sind. Die Insekten werden von Alkohol angelockt, den die Forscher in Flaschen an den Zeltspitzen befestigt haben.

Das vom Bundesforschungsministerium geförderte Projekt führt eine bereits seit 30 Jahren laufende Studie von Krefelder Insektenforschern fort. Diese wiesen 2017 einen dramatischen Schwund an Fluginsekten in Nordrhein-Westfalen nach – zumindest was die gefangene Gesamtmasse der Insekten anging.  Das Wissenschaftlerteam um Gerlind Lehmann untersucht nun 21 Standorte, die repräsentativ für ganz Deutschland sind. Die Forscher bestimmen dabei nicht nur die Gesamtmasse der gefangenen Insekten, sondern auch die einzelnen Arten. Dafür bedienen sie sich der DNA-Methode. Im Labor wird die DNA der gefangenen Insekten ermittelt. So können die Wissenschaftler die Fülle von Insekten, die im Netz gelandet sind, genau bestimmen. Sie ermitteln die jeweilige Art und deren Gesamtgewicht in der Fangprobe, teilen die Gesamtmasse durch das durchschnittliche Gewicht und erhalten so die ungefähre Anzahl der einzelnen Tiere.

Wie kann die Wende gemeinsam gelingen?

Über vier Jahre wollen die Forscher untersuchen, welche Insekten wie stark vom Aussterben bedroht sind. Sie hoffen, dann genaue Zahlen darüber zu haben. Das Ziel ist, für ganz Deutschland Empfehlungen zu geben, wie die Insektenvielfalt erhalten werden kann, sagt Prof. Gerlind Lehmann. Das Forschungsprojekt beschäftigt sich auch mit der Frage, wie die Landwirtschaft langfristig ökologisch umgestaltet werden kann. Dabei ist geplant, alle Betroffenen, also vor allem die Landwirte, mit ins Boot zu holen. In sogenannten Social Labs sollen Konflikte deutlich gemacht und langfristig gemeinsam tragbare Maßnahmen entwickelt werden.

Gut für Insekten, aber nicht ausreichend: Blumen am Feldrand

Eine sinnvolle Maßnahme sind Blühstreifen, die Bernd und Hartmuth am Rand des Ackers finden, auf dem sie zählen. Von Landwirten angelegte Blühstreifen zeigen, wie wichtig eine vielfältige Vegetation für Insekten ist. Hier finden Bernd und Hartmuth das Hundertfache an Insekten im Vergleich zu ihrem Ackerstück.  Dort haben sie nach einer Stunde nur eine Handvoll Insekten gezählt. Luise und Simon haben auf der Waldwiese zwar fast nur Grashüpfer und Schmetterlinge gesehen, dafür aber über 70 Exemplare.

Traumbiotop Naturgarten

Blühstreifen am Ackerrand
Blühstreifen zeigen, wie wichtig eine vielfältige Vegetation für Insekten ist. | Bild: hr

Für das Leben der Insekten kann jeder persönlich etwas tun – zum Beispiel einen naturnahen Garten anlegen. Hier fanden Gabi und Ute, im Vergleich zu den Zählungen auf dem Acker und der Waldwiese, mit Abstand am meisten Tiere: über 150 Exemplare. Und auch die Artenvielfalt war im naturnahen Garten am größten. Die Insektenzählung zeigt laut NABU, dass Gärten inzwischen zu wichtigen Lebensräumen für Wildbienen, Schmetterlinge und andere Insekten geworden sind, weil sie hier noch Nahrungsquellen finden. Daher ist es umso wichtiger, dass Gartenbesitzer auf naturnahe Gärten mit heimischen Stauden und Kräutern setzen.

Gesamtauswertung Insektenzählung NABU 2019

Fluginsekten wie Schmetterlinge, Hummeln, Bienen und Fliegen wurden im Sommer 2019 am häufigsten gezählt. Wie bereits im Vorjahr ist die Steinhummel Spitzenreiterin bei der Zählung im Frühsommer und die Ackerhummel im Hochsommer. Gewinner dieses Sommers sind aber auch zwei Wanderfalter: Admiral und Distelfalter legten in diesem Jahr stark zu. An jedem zehnten Insekten-Beobachtungspunkt wurden Distelfalter beobachtet. Auch der schwarz-rot gezeichnete Admiral wurde deutlich häufiger gesichtet als im Vorjahr.

Im nächsten Jahr geht es weiter

16.300 Insektenfans haben an der Zählung in diesem Jahr teilgenommen. Vom 5. Juni bis 9. August 2020 geht die Aktion des NABU in eine neue Runde. Vielleicht haben Sie dann ja auch Lust mitzuzählen.

Autor: Stefan Venator (hr)

Stand: 28.09.2019 17:30 Uhr

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Sa., 28.09.19 | 16:00 Uhr
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Norddeutscher Rundfunk
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