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Genschere: Neue Pflanzenzüchtungen

Fahrradfahrer zwischen Feldern mit Raps und Getreide.
Der Ackerbau der Zukunft muss nachhaltiger werden | Bild: BR

Die Landwirtschaft steht unter Druck. Insbesondere die Methoden im Ackerbau geraten mehr und mehr in Verruf. Der übermäßige Einsatz von Pestiziden, das Insektensterben und die Überdüngung der Felder mit anschließender Verunreinigung des Grundwassers. Viele erkennen: So kann es nicht weitergehen. Zudem macht der Klimawandel Getreide und Co auf den Feldern immer öfter zu schaffen. Dürren in Europa werden häufiger. Der Ackerbau muss nachhaltiger werden. Und dafür braucht es dringend neue Sorten. Genome Editing, das gezielte Eingreifen in das Erbgut von Kulturpflanzen, könnte hier eine gute Ergänzung zur klassischen Züchtung sein. Aber die Methode ist umstritten. Zu recht?

Genome Editing: Gezieltes Eingreifen in das Erbgut von Kulturpflanzen

Grafik einer Genschere
Die Genschere Crispr/Cas kann gezielt bestimmte Gene im Erbgut aufspüren und ausschalten.  | Bild: BR

Robert Hoffie ist auf dem Land groß geworden. Mittendrin zwischen Weizen, Raps- und Maisfeldern. Er kennt die Probleme in der Landwirtschaft. Und er will etwas dagegen tun. Er forscht daran, dass Nutzpflanzen wie Getreide in Zukunft möglichst ohne den Einsatz von Giften und auch in trockenerem Klima gut wachsen. Seine Methode dafür: Genome Editing, also das gezielte Eingreifen in das Erbgut von Kulturpflanzen. Der junge Wissenschaftler sieht darin einen wichtigen Baustein, um in Zukunft die klassische Züchtung zu ergänzen. Insbesondere die Genschere Crispr/Cas könnte hier gute Dienste leisten. Denn mithilfe des molekularen Werkzeugs kann das Erbgut von Kulturpflanzen ganz gezielt und präzise verändert und angepasst werden.

Gerste: Crispr Genschere gegen Gelbmosaikvirus

Mit Genome Editing könnten Pflanzen zum Beispiel resistent gegen Pilze und Bakterien gemacht werden. Diese neuen Sorten könnten dann künftig ohne die Hilfe von Pestiziden auf den Feldern wachsen. Viren wiederum lassen sich gar nicht direkt bekämpfen. Gegen sie müssen resistente Getreidesorten entwickelt werden. Genau daran arbeitet auch Robert Hoffie. Er will Gerste gegen das Gelbmosaikvirus wappnen. In den letzten Jahren macht der immer mehr Probleme auf den Feldern.

Und so geht Robert Hoffie vor: Im Erbgut der Gerste sitzt ein Gen, das auch dem Gelbmosaikvirus nutzt. Nur mit der Hilfe dieses Gens kann sich der Erreger in der Pflanze vermehren – und Ernten vernichten. In den letzten Jahren ist das immer häufiger passiert. Robert Hoffie hat die Crispr Genschere nun so "programmiert", dass sie dieses Gen im Erbgut der Gerste gezielt aufspüren und die DNA an der Stelle durchschneiden kann. Der Clou: Selbst wenn die Pflanzenzelle die DNA repariert, funktioniert das Gen hinterher nicht mehr. Das Gen unterstützt das Gelbmosaikvirus nicht mehr. Es kann sich nicht mehr vermehren in der Pflanze. Die Gerste ist so resistent gemacht gegen den Erreger.

Ob sein Versuch erfolgreich war, sieht Robert Hoffie erst, wenn aus den behandelten Pflanzenzellen erst kleine Pflänzchen und dann große Gerstenpflanzen gezogen werden. Die werden dann dem Erreger ausgesetzt. Überstehen sie die Virus-Attacke, sind sie resistent. Tatsächlich hat der Versuch von Robert Hoffie geklappt. Die neue im Labor entstandene Gerstensorte könnte nun – nach einem weiteren Ausleseprozess und dem gängigen Zulassungsverfahren für neu gezüchtete Sorten – auf den Feldern wachsen. Aber die Sache hat einen Haken: Pflanzen die mithilfe der Crispr Genschere entstehen, gelten laut EU-Recht als gentechnisch veränderte Organismen. Ihr Anbau ist bei uns verboten.

EU-Recht verbietet Anbau gentechnisch veränderter Organismen

Pflanzen in einer Petrischale.
Die mit der Genschere behandelten Zellen wachsen im Labor zu kleinen Pflänzchen heran.  | Bild: BR

Die Wissenschaftler*Innen, die mit den Methoden des Genome Editing forschen und damit an neuen Techniken der Züchtung arbeiten, können das nicht verstehen. Ihr Argument: Bei den Verfahren werden schließlich keine neuen oder sogar artfremde Gene in die Pflanze eingebracht. Nur die Gene der Pflanze selbst sind Ziel der Veränderung. Im Prinzip also genau wie bei klassischer Züchtung. Dasselbe Produkt könnte also mit dem Methoden der klassischen Züchtung auch geschaffen werden, oder auch auf natürlichem Wege, durch natürlich Mutation.

Und trotzdem stuft momentan das EU-Recht die mit den neuen Verfahren gezüchteten Pflanzen als genetisch veränderte Organismen ein, deren Anbau – wenn überhaupt – nur nach enorm aufwändigen Prüfverfahren zulässig sein. Das Widersprüchliche dabei ist: Auch klassisch gezüchtete Sorten gelten als genetisch veränderte Organismen. Nur mit denen hätte man Jahrzehnte lange "gute" Erfahrung gemacht. Sachlich, so die Wissenschaftler, sei das aber nicht begründbar. Das Endprodukt sei schließlich absolut identisch. Nur das Verfahren unterscheidet sich.

Genschere nicht so präzise und kontrollierbar?

Kritiker des Genome Editings befürchten aber, die Genschere sei gar nicht so präzise und kontrollierbar, wie die Wissenschaft behauptet. Auch andere Bereiche im Erbgut könnten durch sie unbeabsichtigt verändert werden. Vielleicht mit Folgen für Gesundheit und Natur. Ist dieses Risiko aber wirklich größer, als bei der klassischen Züchtung? Bei der entstehen schließlich auch unbeabsichtigte Mutationen. Denn auch sie greift in das Erbgut der Pflanzen ein. Und zwar massiv!

Bis 1990 bestrahlten Züchter ihre Kulturpflanzen, um ihr Erbgut auf unnatürliche Weise schnell zu verändern. Heute setzen sie dafür nur noch Chemikalien ein. Damit erzeugen die Züchter ganz bewusst vielfältige und absolut zufällige Mutationen in den Pflanzen. Einige führen zu Eigenschaften, die die Züchter für neue Sorten nutzen können. Versuchen sie diese neuen Eigenschaften in bestehende Sorten einzukreuzen, bringen sie gleichzeitig auch viele unbekannte Mutationen in die Züchtungen ein, deren genaue Wirkung niemand kennen kann.

Tausende Feldfrüchte, die wir heute essen, sind so entstanden. Und bislang ist das auch gut gegangen. Und deswegen wird das auch als "normal" und ungefährlich akzeptiert. Die Wissenschaftler*innen, die hinter dem Genome Editing stehen argumentieren: Im Gegensatz zur klassischen Züchtung könnten sie viel genauer sagen, was beim Eingriff mit der Crispr Genschere im Erbgut der Pflanzen passiert. Schließlich kennen sie die DNA Sequenzen genau und können somit auch abschätzen, ob und an welcher Stelle genau auch ungewollte Mutationen entstehen.

Genschere hätte großes Potenzial für Pflanzenzüchtung

Grafik: Fragezeichen auf Getreide und DNA
Bei klassischen Züchtungsmethoden werden viele unbekannte Mutationen in die neuen Sorten eingebaut. | Bild: BR

Sind die neuen Verfahren also vielleicht sogar sicherer als die klassische Züchtung? Ralf Wilhelm sollte im Auftrag des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft untersuchen, wie häufig ungewollte Veränderungen beim Genome Editing tatsächlich vorkommen.Hunderte wissenschaftliche Veröffentlichungen hat sein Team dazu am Julius-Kühn-Institut analysiert. Das Ergebnis: Die neuen Methoden führen fast immer auch zu ungewollten Mutationen im Erbgut der Pflanzen. Aber ihre Anzahl ist sehr überschaubar. Ganz im Gegensatz zu den klassischen Methoden, die 100- oder 1.000-fach mehr ungewollte Mutationen verursachen.
Fazit: Die neuen Methoden des Genome Editing könnten Probleme im Vorfeld viel besser kalkulieren und ausschließen, als das bei klassischer Züchtung möglich ist.

Klar ist: Die Genschere hätte großes Potenzial für die Pflanzenzüchtung. In der Genbank am Leibnitz-Institut in Gatersleben wird das deutlich. Hier lagern über 150.000 Samen-Muster von Wild- und Kulturpflanzen. In ihrem Erbgut stecken Eigenschaften, die eine künftige, nachhaltige Landwirtschaft dringend braucht: Breite Resistenzen gegen Pilze zum Beispiel. Oder Toleranz gegenüber trockenen und salzigen Böden. Mit Genome Editing könnten diese Eigenschaften gezielt in heutige Sorten übertragen werden. Viel schneller als mit klassischer Züchtung.

Autor: Herbert Hackl (BR)

Stand: 11.06.2021 09:15 Uhr

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