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Paläofäkalien: Das verrät versteinerter Kot über die Menschheit

Koprolith im Labor
Steinhart aber voller Geheimnisse: Koprolithen können viel über die Lebensgewohnheiten längst untergegangener Kulturen verraten. | Bild: WDR

Den Archäologen entgeht nichts: Mit Pinsel und Hacke schälen sie in mühevoller Arbeit die Überreste der Früh- und Urzeit aus dem Boden. Und manchmal finden sie eine besondere Hinterlassenschaft: versteinerte Kotproben, auch Koprolithen oder Paläofäkalien genannt. Und darüber freuen sich die Wissenschaftler besonders: Denn die Kotbrocken sind reich an Nahrungsresten und DNA – und verraten deshalb viel über die Lebensgewohnheiten früherer Kulturen.

Doch es gibt ein großes Problem bei der Untersuchung der Kotproben: Bei den meisten Funden von Paläofäkalien können die Wissenschaftler nicht sagen, wer genau sie hinterlassen hat. Ist er menschlichen oder tierischen Ursprungs? Vor allem die Hinterlassenschaften von Hunden haben große Ähnlichkeit mit denen des Menschen. Mindestens seit der Steinzeit leben Mensch und Hund eng zusammen – und dementsprechend eng liegen auch ihre Ausscheidungsorte zusammen.

Wenn Forscher heute Paläofäkalien im Labor unter die Lupe nehmen, lässt sich rein visuell meist kein Unterschied zwischen dem Kot von Hund und Mensch finden. Und auch die Analyse der enthaltenen DNA führt meist zu widersprüchlichen Ergebnissen. In Mexiko fanden Forscher in Paläofäkalien zum Beispiel sowohl menschliche DNA als auch große Mengen Hunde-DNA. Erst dachten sie: Die Menschen aßen offenbar Hundefleisch. Doch dann kamen ihnen Zweifel: Vielleicht war es ja auch umgekehrt. Vielleicht fraßen die Hunde die Fäkalien der Menschen (das tun Hunde tatsächlich auch heute noch). So gelangte Menschen-DNA in Hundekot. Wer also etwas über die Veränderung von Essgewohnheiten und damit Darmbakterien und Gesundheitszustand des Menschen herausfinden will, muss dessen Hinterlassenschaften also erstmal sicher von denen der Hunde unterschieden können.

CoproID: Neue KI-Analyse-Methode soll Gewissheit bringen

Grafik: Hund isst Menschen-Kot
Hunde essen manchmal Menschenkot – das sorgt für Verwirrung in den Laboren der Archäologen. | Bild: WDR

Christina Warinner vom Max-Planck-Institut für Ur- und Frühgeschichte des Menschen in Jena beginnt im Jahr 2018 mit einer neuen Methodik. Zusammen mit ihrem Team entwickelt sie eine Analyse-Methode, mit der sich prähistorischer Hundekot von den Hinterlassenschaften des Menschen eindeutig unterscheiden lässt: Bit Data und Machine Learning sollen schaffen, was das Auge der Forscher nicht vermag. Zuerst besorgt sich Warinner insgesamt 13 Paläofäkalien aus aller Welt und ermittelt deren enthaltene DNA. Dann beschafft sie sich DNA-Profile von modernen Kotproben. Wichtig: Bei der gesamten Forschungsarbeit dürfen die versteinerten Kotproben unter keinen Umständen mit moderner DNA verunreinigt werden. Die Lagerstätte der Tausende Jahre alten Kotproben gleicht also einem Hochsicherheitslabor.

Für den Menschen gibt es heutzutage DNA-Profile aus Kotproben zuhauf: Sie werden zum Beispiel in großen klinischen Studien in der Krebsforschung angefertigt. Beim Hund ist die Datenlage schlechter: Wen interessiert die im Hundekot enthaltene DNA? Christina Warinner und ihr Team finden nur eine einzige Studie. Doch die enthaltenen Daten genügen, um die Analyse-Methode weiterzuentwickeln. Das Ergebnis: ein gigantischer Datenberg. Ein einziger Kothaufen enthält Menschen-DNA mit ungefähr drei Milliarden und Bakterien-DNA mit zehn Trillionen Basenpaaren. 

Die Entschlüsselung des Mikrobioms kann beginnen

In einer Kotprobe enthaltene DNA
Eine menschliche Kotprobe enthält drei Milliarden Basenpaare an menschlicher DNA und zehn Trillionen Basenpaare an Bakterien-DNA. | Bild: WDR

Christina Warinner verfügt nun also über DNA-Profile aus dreierlei Quellen: moderner Mensch, moderner Hund sowie Paläofäkalien. Bei den modernen Quellen kennt sie die Herkunft, bei den Paläo-Proben jedoch nicht. Der Computer vergleicht die modernen Daten mit denen der antiken Proben. Und tatsächlich: Bei acht Proben gelingt eine Zuordnung. Fünf Paläokotproben sind eindeutig menschlich, zwei dagegen klar vom Hund. Die Methode funktioniert.

Nun kann die eigentliche Forschung losgehen: Denn natürlich interessieren sich Christina Warinner und ihr Team nicht bloß für den Unterschied zwischen tierischen und menschlichen Hinterlassenschaften – sie wollen vor allem auch herausfinden, wie sich die Menschen vergangener Zeitalter ernährt haben und wie sich das auf deren Gesundheit ausgewirkt hat. Die DNA der antiken Kotproben verrät nämlich auch, welche Darmbakterien die Menschen damals in ihrem Verdauungssystem hatten.

Im menschlichen Darm leben Billionen Bakterien – das sogenannte Mikrobiom oder auch "Darmflora". Und diese Mikroorganismen sind maßgeblich an der Verdauung beteiligt. Viele Mediziner vermuten mittlerweile, dass die heutige Ernährung zu einer Verarmung dieser Darmflora und Krankheiten wie Krebs und Depression geführt hat. Christina Warinners Forschung könnte Belege für diese These liefern. Tatsächlich fand sich, verglichen mit modernen Proben, im Paläokot noch eine höhere Konzentration an Bakterien, die im Darm pflanzliche Nahrung verwerten.
Christina Warinner hält diese Veränderung im menschlichen Mikrobiom für eine mögliche Ursache von Zivilisationskrankheiten. Doch noch sind noch lange nicht alle Geheimnisse des versteinerten Kots entschlüsselt. Die Suche hat gerade erst begonnen.

Autor: Max Lebsanft (WDR)

Stand: 15.08.2020 17:27 Uhr

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