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Grundwasser – der unsichtbare Fluss

Hechte schwimmen im klaren Wasser
Tummelplatz für Hechte: Grundwasserquellen. | Bild: SWR

Genau elf Grad, nicht mehr und nicht weniger. So warm ist das Wasser des unscheinbaren Weihers im Oberrheintal zwischen Schwarzwald und Vogesen. Doch nicht nur die konstante Temperatur macht sein Wasser zu etwas ganz Besonderem: Das Wasser im Weiher ist reines Grundwasser, das hier förmlich aus der Erde sprudelt. "Donnerlöcher" nennen Einheimische diese Grundwasserquellen, denn sie tun sich aus der Erde auf wie durch einen Blitzschlag geformt. Doch jenseits von aller Mystik: Das absolut klare Wasser zieht viele Tier- und Pflanzenarten an, denn die Bedingungen sind ideal: Hier gedeiht das Gefärbte Laichkraut. Es fühlt sich in der Quelle wohl, weil dort nur wenig Nährstoffe wie Nitrate und Phosphate im Wasser enthalten sind. Aber auch Fische fühlen sich wohl: Stichlinge brüten direkt neben den Unterwasserquellen. Und auch das Wasser selbst ist attraktiv: Mit seinen elf Grad kann es an kalten Tagen wie ein Whirlpool wirken.

Das lockt zum Beispiel Hecht-Männchen an. Im Frühjahr sind sie von den Wunden vergangener Kämpfe gezeichnet, da tut das warme Wasser gut – und macht auch die Paarung angenehmer. Forellen dagegen leiden in den Grundwasserquellen etwas an Kurzatmigkeit, denn das Wasser ist zwar warm und schadstofffrei, aber auch arm an Sauerstoff. Und trotzdem ziehen die "Donnerlöcher" fast schon magisch an, und das, obwohl sie keinesfalls in einer unberührten Landschaft liegen, sondern umzingelt von intensiver Landwirtschaft. Warum also dringt ausgerechnet hier, mitten in der Ebene des Oberrheintals, das Grundwasser aus dem Boden?

Die lange Reise des Grundwassers

Grundwasser fließt Tal abwärts
Unsichtbarer Fluss: das größte Grundwasserreservoir Europas | Bild: SWR

Bevor das Grundwasser im Oberrheintal aus dem Boden dringt, hat es schon einen langen Weg hinter sich: In den Bergen, dem Schwarzwald im Osten und den Vogesen im Westen, beginnt die Reise. In den Bergen ist es kühler als im Tal, Wolken entstehen und verfangen sich in den Hügeln. Regenwasser sammelt sich in vielen kleinen Bächen. Das Wasser ist kristallklar und noch frei von Schadstoffen. Der Gebirgsbach fließt weiter Richtung Tal. Aus Bächen werden kleine Flüsse, die am Ende in den Rhein münden. Doch ein Teil des Wassers nimmt einen ganz anderen Weg – einen unterirdischen. Das Regenwasser versickert in Ritzen und Spalten. Auf seiner Reise durch Sand, Kies und anderes Gestein wird es gefiltert und gereinigt. Gleichzeitig nimmt es wertvolle Mineralien auf.

Doch wo es auf undurchlässiges Felsgestein stößt, fließt es unterirdisch ab ins Oberrheintal. Dort trifft es auf noch mehr Grundwasser, das aus den Alpen kommt. So entsteht das größte Grundwasserreservoir Europas. Es erstreckt sich wie ein unsichtbarer Fluss über die ganze Ebene. Im Tal dringt das Grundwasser mancherorts wieder ans Licht. Wo der Boden locker ist, nimmt es den Weg des geringsten Widerstands – nach oben. So entstehen Weiher wie das "Donnerloch". Doch nicht nur von unten quillt hier das Wasser hoch – manchmal kommt auch Wasser von anderswo dazu – und bedroht die reine Quelle.

Bedrohtes Idyll: Unkrautvernichter, Insektizide sowie übermäßiges Düngen

Traktor nähert sich Flussufer
Nitrat und bedroht das Grundwasser. | Bild: SWR

Kommt es zum Beispiel durch Starkregen zu Hochwasser, bringt das von den umliegenden Feldern etwas mit, das dem Lebensraum Grundwasserquelle zum Verhängnis werden kann: Nährstoffe, die dazu führen, dass sich Algen stark vermehren und das Wasser eintrüben. Doch im Frühjahr ist das Überschwemmungswasser wärmer als das Grundwasser und vermischt sich deshalb nicht mit ihm. Wie in einem Glas Latte macchiato bilden sich zwei Schichten. Das freut die Hechte: Entlang der Grenzschicht suchen sie nach Insekten und Fischen. Die Hochwasser-Brühe breitet sich nicht bis zum Grund aus. Glück für die Fische. In doppelter Hinsicht: Manchmal spült das Hochwasser Fische in die Grundwasser-Weiher, die dort eigentlich nicht hingehören. Der kleine Döbel zum Beispiel ist für den Hecht ein gefundenes Fressen. Das Grundwasser sorgt dafür, dass ein Stück artenreicher Wildnis entsteht.

In direkter Nachbarschaft bestimmt aber der Mensch, was wächst und was nicht: Die Quelle ist umzingelt von Feldern. Je intensiver sie bewirtschaftet werden, desto größer ist die Bedrohung für das Grundwasser: Unkrautvernichter, Insektizide sowie übermäßiges Düngen mit Gülle und Mineraldünger sind die größte Gefahr fürs Grundwasser. Im Dünger enthaltene Nährstoffe wie Nitrat, belasten die Feuchtgebiete. In einem Drittel Deutschlands ist das Grundwasser bereits stark nitratbelastet – dabei ist es das kostbarste Gut, das die Natur zu bieten hat. Es reicht also nicht aus, die Schätze der Natur nur dort zu schützen, wo sie Auge zu Tage treten – denn manchmal ist das Wesentliche für die Augen unsichtbar – genauso wie das Grundwasser, der unsichtbare Fluss.

Autorin: Sophie König (SWR)

Stand: 03.07.2020 14:20 Uhr

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