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Wasserstoffstrategie: Hoffnungsträger Wasserstoff?

Animation: Eine Welt – angetrieben mit Wasserstoff
Eine Welt – angetrieben mit Wasserstoff. | Bild: WDR

Als "grünes Erdöl von morgen" gilt Wasserstoff als der Energieträger der Zukunft. Doch sind Deutschlands Ziele, zur Wasserstoffnation Nr.1 zu werden, realistisch?

Das kann Wasserstoff

Wasserstoff ist das häufigste chemische Element im Weltall und auch bei uns auf der Erde ein zentraler Baustein der lebenden und unbelebten Natur: von Wasser, über Pflanzen bis hin zum Menschen. Und auch zahlreiche Produkte des Alltags, die wir künstlich herstellen, brauchen Wasserstoff als Grundbaustein: vor allem Kunststoffe, aber auch Kunstdünger, Lacke und selbst Kaugummi.

Deutschlands chemische Industrie verarbeitet daher heute bereits 1,6 Millionen Tonnen reinen Wasserstoff pro Jahr. Und dieser Bedarf wird sich bereits bis 2030 verdoppeln. Denn auf Wasserstoff kommen jetzt völlig neue Aufgaben zu. Er soll der Energiewende unter den Arm greifen, indem er fossile Energieträger ersetzt – zum Beispiel als Treibstoff von Fahrzeugen, Frachtschiffen und Flugzeugen, aber auch als Brennstoff für Heizungen und Hochöfen.

Das alles wird ihm zugetraut, weil ein Liter Wasserstoff drei Mal so viel Energie wie ein Liter Benzin enthält. Und wenn er für die Energiefreisetzung verfeuert wird, kommt kein CO2 heraus, sondern bloß harmloser Wasserdampf.

Kein Klimaretter: "Grauer" Wasserstoff

Grafik erläutert Herstellung von "grauem Wasserstoff".
Bei der Dampfreformierung wird "grauer Wasserstoff" aus Erdgas hergestellt. | Bild: WDR

Doch die Sache hat einen Haken: Da Wasserstoff auf der Erde eben nur in gebundener Form vorkommt, muss er erstmal in Reinform gewonnen werden – und das geschieht meist aus Erdgas (CH4). Erdgas enthält viele Wasserstoffatome, die sich mithilfe der "Dampfreformierung" freisetzen lassen. Das Problem bei dieser Methode: Neben Wasserstoff bleibt als Abfallprodukt das Treibhausgas CO2 übrig. Und zwar eine ganze Menge davon: Auf eine Tonne produzierten Wasserstoff kommen zehn Tonnen CO2 als Abfallprodukt. 

Als Wunderwaffe im Kampf gegen den Klimawandel eignet sich dieser "graue" Wasserstoff also nicht. Warum die Industrie trotzdem die Gewinnung aus Erdgas weiterverfolgt? Die Herstellung soll so preisgünstig wie möglich sein. Und Erdgas ist ein günstiger, fossiler Rohstoff.

Grün, türkis, blau: Farben des Wasserstoffs

Zum Glück gibt es noch andere Herstellungsprozesse, die weniger schädlich für die Umwelt sind. Entweder wird das Abfallprodukt CO2 gespeichert, sodass es nicht in die Atmosphäre gerät. Oder es entsteht erst gar kein schädliches Treibhausgas. Um die verschiedenen Wasserstoff-Produktionsprozesse besser unterscheiden zu können, hat die Bundesregierung sie mit Farben gekennzeichnet:

  • Blauer Wasserstoff ist im Grunde grauer Wasserstoff. Jedoch wird das durch die Dampfreformierung entstandene CO2 gespeichert. Diese Speicherung wird auch "CSS" ("Carbon Capture and Storage"). Das bei der Produktion entstandene CO2 gelangt also nicht in die Atmosphäre und wird somit CO2-neutral bilanziert. Umweltschützer kritisieren den Begriff "Blauer Wasserstoff", der laut Bundesregierung für Klimaneutralität steht, allerdings als Etikettenschwindel, denn das schädliche CO2 wird quasi nur "weggepackt".  Außerdem fehlt es an Lagerstätten für dieses "weggepackte" CO2.


  • Türkiser Wasserstoff wird über die thermische Spaltung von Erdgas (CH4 oder Methan) gewonnen. Dieses Verfahren wird auch als Methanpyrolyse bezeichnet. Anstelle von CO2 entsteht hierbei ein fester Kohlenstoff. Um diese Art der Produktion CO2-neutral zu gestalten, ist sowohl die Wärmeversorgung des Hochtemperaturreaktors aus erneuerbaren Energien, als auch die dauerhafte Bindung des entstehenden Kohlenstoffs notwendig.


  • Grüner Wasserstoff wird durch Elektrolyse von Wasser hergestellt. Dieses Verfahren trennt Wasser (H2O) mithilfe von Strom, in seine Elemente. Bei grünem Wasserstoff kommt der Strom für die Elektrolyse ausschließlich aus erneuerbaren Energien. Dadurch ist sowohl der Strom als auch die gesamte Produktion von Wasserstoff CO2-frei. Grüner Wasserstoff ist für Umweltschützer die einzige Methode, um Wasserstoff tatsächlich klimaneutral zu gewinnen.

Gehört grünem Wasserstoff die Zukunft?

Karte von Deutschland mit Windrädern.
Um genügend grünen Wasserstoff zu produzieren, braucht es viel mehr Windräder. | Bild: WDR

Genau auf diesen grünen Wasserstoff setzt nun die Bundesregierung bei der nationalen Wasserstoffstrategie. Doch die Vision von der grünen Wasserstoff-Welt sei aktuell noch Illusion, meint Volker Quaschning. Der Energiewende-Experte von der HTW Berlin sieht die Strategie der Bundesregierung kritisch. Der Ausbau von Wind- und Solarparks laufe viel zu langsam ab, als dass genügend Ökostrom für Deutschlands Wasserstoffbedarf zur Verfügung stände. Das weiß auch die Regierung. Sie visiert an, 15 Prozent dieses Bedarfs bis 2030 mit deutschem Ökostrom zu decken. Dafür sollen große Elektrolyse-Anlagen gebaut werden – unter anderem mit den Milliarden aus dem aktuellen Corona-Krisenpaket.

Die fehlenden 85 Prozent grüner Wasserstoff sollen im großen Stil importiert werden. Und zwar unter anderem aus West- und Südafrika oder Australien. Die Gespräche dafür laufen bereits. Quaschning hält das für ineffizient. So gehe nicht nur Energie bei der Elektrolyse verloren, sondern auch noch beim Transport. Am sinnvollsten sei es, Strom vor Ort herzustellen und direkt zu nutzen. Er plädiert daher dafür, sich beim Wasserstoff auf die Bereiche zu beschränken, wo es keine guten Alternativen gebe: also weder Pkw noch Heizungen, sondern vor allem Industrieprodukte, Schwerverkehr und Energiespeicher für heimischen Ökostrom.
Dann könnte grüner Wasserstoff eines Tages tatsächlich ein essentieller Baustein einer erfolgreichen Energiewende sein.

Welche Rolle spielt Deutschland in der internationalen Wasserstoffindustrie?

Industrieanlage.
Deutschland ist federführend in der Wasserstofftechnologie. | Bild: WDR

Durch die in der Vergangenheit geförderten Maßnahmen haben deutsche Forschungseinrichtungen und Industrieunternehmen in der Brennstoffzellen- und Wasserstofftechnologie eine internationale Spitzenstellung erreicht. Diese Position auf dem internationalen Wasserstoffmarkt möchte die Bundesregierung fördern und ausbauen. Deshalb wird es auch künftig intensive Forschungs- und Entwicklungsmaßnahmen geben.

Das Ziel: Deutschland soll nicht nur federführend in der Wasserstofftechnologie sein, sondern auch international der Industrie sein Know-how zur Verfügung stellen. Aktuell ist die Herstellung von grünem Wasserstoff noch sehr teuer. Das soll sich aber mit Ausbau und rasantem Voranschreiten der Technik ändern. Die Regierung erhofft sich dadurch, dass tausende neue Arbeitsplätze entstehen.

Autor: Timothy Wiehn (WDR)

Stand: 24.10.2020 15:19 Uhr

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