SENDETERMIN Sa., 11.06.22 | 23:30 Uhr | Das Erste

"Jenseits von Eden"

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Anke Prumbaum: Jenseits von Eden | Bild: WDR

Was ist grün und wird immer größer und hat dicke weiße Wurzeln, die sich zügig überall hin ausbreiten? Richtig, der Giersch. Schreckenswort meiner Kindheit. Wir haben alles versucht, um unseren Garten vom Giersch zu befreien, und wir haben sogar Salat mit Giersch, Kräutercremesüppchen mit Giersch ausprobiert. Es ist uns nicht gelungen. Nach dem Tod unserer Eltern hab ich aus dem Garten ein paar Pflanzen mitgenommen. Freu mich über die Hortensie, und sehe den Giersch als blinden Passagier zwischen den Wurzeln hocken – jetzt in meinem Garten. So ist das – mit dem Garten.

Plage und Glück zugleich. Sisyphusarbeit und Erfolg, so nah beieinander. Da sind sie endlich da, die ersten Blättchen, und die Schnecken machen alles zunichte. Oder der Frost. In einer Nacht. Das war nicht so gedacht. Am Anfang der Bibel wird erzählt, wie Gott den Mensch in den Garten setzt, mitten ins Paradies. Eden, heißt dieser Garten. 

Ein Garten voller Wildwuchs – und nicht Rasen auf 2,8 cm, vom Roboter gemäht, der manchmal, wenn er nachts fährt, den Igeln die Beine verletzt. Ein vielfältiger Garten, zum Nutzen und zur Zierde und mit genug Versickerungsfläche – und keine Schotterwüste, wie noch immer so gerne in hiesigen Vorgärten. Eden. 

Den Garten Eden haben wir verloren. Wir sind Rausgeworfene. Und seitdem mühen wir uns ab. Pflanzen und buddeln, was das Zeug hält, versuchen zu gestalten – und versagen dabei kläglich. Denn der Auftrag lautete, nicht nur zu gestalten, sondern auch zu bewahren. Unsere Gärten sind Gärten jenseits von Eden. In den Gärten jenseits von Eden ist nicht mehr Leben und Platz für alle. Damit das eine wächst, wird das andere getötet oder vertrieben – Schnecken und Raupen und Wühlmäuse. 

Gärten jenseits von Eden stehen auf Insektenvernichter und exotische Gewächse; und heimische Vögel und Insekten wissen überhaupt nicht mehr, wohin. Glücklicherweise schleicht sich aber ein Stückchen Eden immer mal wieder ein.

Bei mir ist das, wenn meine Hände in der Erde wühlen, so tief, dass die Nägel trotz Handschuhen dreckig sind und ich merke: Ich gehöre zu dieser Erde. Bin von der Erde und werde auch wieder Erde. Adam, der erste Mensch, sein Name leitet sich ab von Adama, das heißt auf Hebräisch Erde. Sie, ich, ein Wesen aus Erde, nicht mehr, nicht weniger. Das ist Eden: Demut, Zurücknahme.

Im Garten sehe ich neue Gemeinschaften entstehen. Da werden überschüssige Salatköpfe über den Gartenzaun gegen einen Ableger Minze getauscht. Mit Leuten, die eigentlich nerven, weil sie jeden Abend grillen. Das ist Eden: erstaunliche Toleranz!

Die Natur hat Kraft. Das, was wachsen will, bricht sich Bahn, oft unter widrigsten Umständen. Mein Kollege hat nur so eine kleine Fuge zwischen Hauswand und Bürgersteig. Und trotzdem blühen dort seit Jahren immer wieder die schönsten Stockrosen. Das ist Eden: es wächst hartnäckig und unaufhaltsam in jeder kleinsten Ritze!

Warum ich das alles erzähle? Weil ich nach wie vor glaube, dass der Mensch in den Garten Eden gehört. Und dass Eden immer mal stückchenweise zurückkommt. Und weil morgen Tag des Gartens ist. Begehen Sie ihn doch einfach – mit Hoffnung für alles, was noch wachsen muss. Mit Achtung vor dem Leben und Demut. 

Und – vielleicht auch mit einem Tütchen Samen. Das könnten Sie zum Beispiel da ausstreuen, wo es jemand wieder ganz genau genommen hat mit dem Zubetonieren. 

Sendetermin

Sa., 11.06.22 | 23:30 Uhr
Das Erste

Produktion

Westdeutscher Rundfunk
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