SENDETERMIN Sa., 20.08.22 | 23:50 Uhr | Das Erste

spricht Anke Prumbaum, Moers

PlayAnke Prumbaum
Anke Prumbaum: Trauer | Video verfügbar bis 20.08.2027 | Bild: ARD / Ben Knabe

So war das: Ich fuhr mit dem Rad eine Allee entlang. Links und rechts standen wilde Kirschbäume, die Sonne schien, es war ein herrlicher Tag. Ich halte an und pflücke ein paar Kirschen, und als wir weiterfahren, da passiert es . Ich hätte jetzt eigentlich ein Foto gemacht. Und es meiner Mutter geschickt: Guck mal, wie schön! Kann ich aber nicht, kann ich nie wieder. Meine Mutter ist gestorben, vor einem halben Jahr. Und ich muss weinen, mitten auf der Straße.

Das ist Trauer. Tränen, mitten an einem schönen Sommertag. Viele Trauernde sagen: Gerade dann. Wenn der Himmel hell ist und alles schön, da ist der Schmerz oft am größten. Wenn das Gefühl da ist: das würde ich dir jetzt gerne zeigen. Mit dir teilen. Aber du bist nicht mehr da.

Ich bin Krankenhausseelsorgerin und Pfarrerin. Die Trauer ist meine tägliche Begleiterin. Ich treffe sie an Sterbebetten, in Abschiedssituationen. In Selbsthilfegruppen, in Gesprächen. Ich sehe sie in liebevollen Blicken und auch im verzweifelten aus-dem-Fenster-Schauen. Seit Beginn des Jahres fühle ich sie selber. Meine Mutter ist tot. Trauer hat so viele Gesichter. Sie ist vielfältig, wie wir auch.

Und wissen Sie was – so vielfältig ist auch die Hilflosigkeit drum herum.  Wie soll man mit Trauernden umgehen – das wissen viele nicht.  Eltern, die ihr Baby verloren haben, erzählen: Freunde wenden sich ab, die eigentlich immer da waren, weil sie einfach nicht wissen, welche Worte sie sagen können, welches Verhalten jetzt passt. Naja, sagen Sie jetzt vielleicht, das ist aber auch eine extreme Situation. Nein, das ist eine Erfahrung, die ganz viele Trauernde machen, ich höre es immer wieder: Sie müssen nicht nur mit dem Tod zurechtkommen, sondern auch damit, dass sich Leute zurückziehen. Das ist oft enttäuschend und gibt das Gefühl: Ich darf andere nicht mit meiner Trauer belasten. Einfach erzählen können von dem, was war, Geschichten teilen – das tut gut.

In der Bibel wird das ausführlich seitenlang geschildert: von einem Mann, der trauert, und seine Freunde sitzen einfach nur bei ihm. Halten aus und schweigen. Aber offenbar ist genau das unendlich schwierig.

Ich habe in meinem Arbeitszimmer noch die schwarze Handtasche meiner Mutter, die sie dabei hatte, als sie ins Krankenhaus kam. Darin sind persönliche Dinge von ihr, auch noch ein Zwieback, in ein Tuch eingewickelt. Ich hatte ihr den schnell besorgt, weil ihr ein bisschen übel war. Die Tasche steht in der Ecke. Ich kann sie nicht weg tun. Vielleicht  irgendwann mal. Aber noch nicht. Wann? 

Wie lange darf Trauer dauern? Wann packt man die persönlichen Sachen weg? Ist das „normal“, auch ein Jahr, zwei Jahre, fünf Jahre nach dem Tod des Mannes noch seine Hemden im Schrank zu behalten? Die Straße zu umfahren, wo das Haus steht, das mal das Elternhaus war? Es gibt  eine Menge Vorstellungen, was als „normal“ gilt.

Da kommen Sätze wie „Irgendwann muss es doch mal gut sein.“ „Du musst doch auch wieder am Leben teilnehmen!“ Und auch Trauernde selbst fragen: „Wann hört es auf? Wann wird der Schmerz leichter? Wann fange ich nicht urplötzlich an zu weinen, bei einem Lied im Radio, bei einem Geruch? Wird es jemals wieder gut? Wie soll ich den Jahrestag ertragen oder diese vielen Orte, an denen wir zusammen waren? Wer mitten drin steckt, weiß nur eins: Es gibt keinen Knopf. Trauer ist Arbeit und kostet Kraft und braucht Zeit.

Manches hilft. Reden, erinnern, weinen mitten im Sommer, beten. Ich steh bei den Kirschen und sage: „Das hätte ihr gefallen.“ Und meine Tochter sagt: „Ach Mama, sie sieht es doch“, und in dem Moment spüre ich Trost und bin plötzlich wieder gewiss, dass bei Gott auch das aufgehoben ist, was ich nicht halten kann.

Ich wünsche Ihnen einen gesegneten Sonntag.

Sendetermin

Sa., 20.08.22 | 23:50 Uhr
Das Erste

Produktion

Westdeutscher Rundfunk
für
DasErste