SENDETERMIN Sa., 27.08.22 | 23:35 Uhr | Das Erste

Lebensmut in der Trauer

PlayPastorin Annette Behnken
Annette Behnken: Lebensmut in der Trauer | Video verfügbar bis 27.08.2027 | Bild: Patrice Kunte

Ich hab‘s immer und immer wieder angehört. "…und der Mensch heißt Mensch…" Das Lied hat damals alle Verkaufsrekorde der deutschen Musikgeschichte gebrochen. "… weil er erinnert, weil er kämpft …" Bis heute  kann ich’s Wort für Wort mitsingen – die meisten von uns: "… und weil er hofft und liebt. Weil er mitfühlt und vergibt …" Oder Sie haben es mindestens im Ohr: "Weil er lacht. Und weil er lebt. Du fehlst."

Du fehlst. Man kann‘s gar nicht oft genug sagen. Oft genug singen und hören. Ich hab‘s andauernd gehört damals, weil mir eine fehlte, die mir ein kurzes Leben lang sehr nah war. Ganz viel von meiner Trauer konnte ich in dieses Lied legen. Und im Lauf der Zeit spüren: Die Trauer verwandelt mich. Ich weiß noch nicht, wie und was das bedeutet. Aber Trauer verwandelt.

Jetzt hat das Lied zwanzigsten Geburtstag. Im August 2002 hat Herbert Grönemeyer sein Lied "Mensch" veröffentlicht. Nachdem er sich lange aus der Öffentlichkeit zurückgezogen hatte. Ganz kurz hintereinander waren seine Frau und sein Bruder gestorben.

Er wurde gefragt, ob dieser Verlust ihn spiritueller gemacht habe. Ja, sagt er. Auch wenn er noch nicht genau wisse, was das bedeute. Aber er habe erfahren, "dass die Verschiedenheit der Menschen sich darin zeigt, wie jemand sein Leben in Beziehung zum Tod sieht."

Mein Leben in Beziehung zum Tod… Letzte Woche hat meine Kollegin hier im Wort zum Sonntag über den Tod und die Trauer gesprochen und viele von uns damit erreicht – mich auch.

Es ist Sommer, der Himmel oft blau, die Abende lau, vieles um uns so schön, dass wir es teilen wollen – aber – jemand fehlt. Für immer. Und jetzt. Besonders jetzt. Das geht so vielen von uns so. Und auch mir fehlt sie in diesem Sommer besonders, die, die um die ich damals trauerte. Und im Rückblick merke ich: Die Trauer hat mich verwandelt

Trauerarbeit heißt es. Es ist Arbeit, zu trauern. Knochenarbeit. Aber: Ich muss nicht an der Trauer arbeiten. Die Trauer arbeitet an mir. Für mich. Wenn sie durch mich hindurchfließt, tut sie ihr Werk. Sie weiß besser als ich, wie Heilwerden geht. Und wie lange es braucht. Und sie verwandelt mich. Ganz allmählich. Ich weiß noch nicht wie. Und was das bedeutet. Aber irgendwie hat das der, dem ich mein Leben verdanke, gar nicht so schlecht eingerichtet. Auch wenn ich ihn manchmal verfluche, weil es so sinnlos ist, weil es so wehtut. Die Trauer schwemmt vieles hoch. Auch Wut. Und der Mensch heißt Mensch, weil er sich verwandeln lässt.

Ich habe damals angefangen, zu verstehen: Ich muss die Trauer nicht abhaken irgendwann. Und schon gar nicht den oder die, um die ich trauere. Wir müssen nicht irgendwann fertig sein damit. Das kann so sein – irgendwann ist es gut. Gut. Aber oft ist es anders. Es darf sich einweben ins Lebensgefühl. Es darf uns offenporig und empfindsam machen. Das ist okay. Es mag sein, dass das Leben jetzt anders schmeckt. Dass wir unsere Schritte durchs Leben anders setzen. Manches intensiver spüren. Und erinnern und kämpfen. Und hoffen und lieben. Und mitfühlen und vergeben. Und lachen. Leben. Mensch sein.

Sendetermin

Sa., 27.08.22 | 23:35 Uhr
Das Erste

Produktion

Norddeutscher Rundfunk
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DasErste