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Anke Prumbaum: Alle Vögel sind nicht da

Anke Prumbaum: Alle Vögel sind nicht da | Video verfügbar bis 12.07.2030 | Bild: ARD / Ben Knabe

Alle Vögel sind nicht da

Guten Abend.

Auf meinem Schreibtisch steht eine Postkarte. Die hat mir die Ehefrau eines Mannes geschenkt, den ich beerdigt habe. Auf der Postkarte ist ein Rotkehlchen abgebildet. Sie hat mir im Trauergespräch erzählt, wie sehr er die Vögel im Garten liebte. Besonders die Rotkehlchen. Ich weiß genau: Immer, wenn sie ein Rotkehlchen sieht, fühlt sie sich ihrem Mann ganz nah.

Was ist das mit den Vögeln?

Ich weiß aus Gesprächen in der Krankenhausseelsorge, wie gut das tut – die ersten Vogelstimmen am Morgen. Rotkehlchen hört man mit als erste. Wenn die dunklen Stunden fast nicht zu ertragen waren, wenn es nicht geklappt hat mit dem Schlafen, zu viele Gedanken, oder Schmerzen, oder Unruhe. Und dann kommen die ersten Stimmen der Vögel und künden schon den Morgen an, bevor er zu sehen ist. Das tut gut. Und tröstet. Noch bevor die Sonne aufgeht.

Die Geschichte von der Arche aus der Bibel erzählt, wie Noah einen Vogel wegfliegen lässt, nach der großen Flut. Und als der Vogel dann mit einem Zweig zurückkommt, weiß Noah, dass es wieder wachsendes Leben gibt. Eine Freundin hat mir letztens erzählt: als sie Kind war, waren es die wiedereinsetzenden Vogelstimmen nach dem Gewitter, die ihr sagten: So, jetzt ist es vorbei! Du brauchst keine Angst mehr zu haben.

Vielleicht gibt Jesus deshalb in der Bergpredigt den Tipp: „Seht die Vögel unter dem Himmel an“, sagt er. „Sie säen nicht, sie ernten nicht. Und euer himmlischer Vater ernährt sie doch.“

Ein Satz, der wahr ist…und zugleich auch nicht. Er ist heute nicht mehr wahr, weil gerade dieses Gleichgewicht gestört ist, in dem jedes Lebewesen einfach von dem lebt, was da ist und ein sorgloses Gottvertrauen reicht. Durch den Lebenswandel von uns Menschen kommt das.

Immer im Mai gibt es die Stunde der Gartenvögel. Das geht so: Man setzt sich eine Stunde lang einfach an eine Stelle und zählt, welche Vögel und wie viele man sieht. Das alles wird gesammelt und ausgewertet. Die Ergebnisse sind leider klar:  Die Hälfte der bekannten Vogelarten wird seltener. Stichwort Vogelsterben. Auch beim Rotkehlchen.

Das hat Gründe. Weniger Hecken, weniger Brachen.  Zu viel hoch intensive Landwirtschaft, zu viele Pestizide. Und weniger Insekten, das heißt: weniger Vögel. Die müssen ja auch essen. Zu viel Verschmutzung der Natur. Klimawandel.

Aber der Satz Jesu ist auch wahr. Schaut hin. Was diese gefiederten Wesen können. Wunder, kleine Wunder. Die Formation ziehender Gänse und Kraniche lässt mich staunen. Die Route auf dem Zug in den Süden, tausende Kilometer, macht mich ehrfürchtig.

Wie viele träumen sich dem hinterher. Könnte ich doch einfach wegfliegen, frei sein, die Dinge hinter mir lassen. Das, was mich so bedrückt. Die ewigen Termine. Das Rad der Care-Arbeit. Und so viel mehr. Vögel sind Sehnsuchtswesen.

Der erste Schritt in diese Sehnsucht ist, auf sie zu schauen, auf die Rotkehlchen, die Meisen, die Spechte, die Amseln. Letztes Wochenende habe ich einen Eisvogel gesehen. Seht die Vögel unter dem Himmel an. Haltet inne und staunt.

Schickt ihnen eure Sehnsucht hinterher, diesen gefiederten Boten Gottes. Und bei aller Sehnsucht vergesst nicht, dass man etwas tun kann und auch muss für eine Umgebung, in der auch die Vögel gut leben können.

Ich wünsche Ihnen einen gesegneten Sonntag. 

Sendetermin

Sa., 12.07.25 | 23:35 Uhr
Das Erste

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Westdeutscher Rundfunk
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