Interviews zur Produktion von "Die Puppenspieler"

Szene aus "Die Puppenspieler – Ans Licht"
Szene aus "Die Puppenspieler – Ans Licht" | Bild: ARD Degeto/Ziegler Film / Vaclav Sadilek, Raphael Wüstner

RAINER KAUFMANN: Was hat Sie als Regisseur an dem Roman von Tanja Kinkel fasziniert?

Mich hat der Gedanke begeistert, die Komplexität des ausgehenden 15. Jahrhunderts anhand der Entwicklungsgeschichte einer Figur erlebbar zu machen. Der Zuschauer soll ein Gefühl für die Wichtigkeit dieser Zeit bekommen und ihre Ähnlichkeit mit der Gegenwart erkennen. Denn, obwohl die Geschichte in den 90er Jahren des 15. Jahrhunderts spielt, werden Themen angesprochen, die in unserer modernen Welt genauso aktuell sind wie damals auf der Schwelle vom Mittelalter zur Renaissance: religiöser Fanatismus, Volksverhetzung, Kapitalismus, die Verlogenheit von Macht und Geld, aber auch die Vorteile von Netzwerken und schneller Information. Es ist eine Entwicklungsgeschichte, eine Liebesgeschichte und ein großer Abenteuerfilm, der uns den Beginn der Neuzeit mit all seinen Grausamkeiten und Kontroversen, aber auch mit seiner Pracht und Sinnlichkeit vor Augen führt. Das Streben nach Macht verliert den Sinn, wenn dabei die Menschlichkeit stirbt. Ich möchte, dass der Zuschauer in diese Zeit eintaucht, sie "riecht und spürt" und sich mit unserem Helden auf seine Lebensreise begibt.

TANJA KINKEL: Wie gehen Sie als Romanautorin bei der Entwicklung Ihrer Geschichte mit historischen Gegebenheiten um?

Geschichte inspiriert und fordert mich: Sich in andere Epochen hineinzudenken und -zufühlen, dabei aber auch das zu vermeiden, was Lion Feuchtwanger, ein Meister des historischen Romans, "verkleidete Fußnoten" nannte – das ist eine Balance, an der ich mich bei jedem Ausflug in das Genre erneut versuche. Da ich Romane schreibe, keine Sachbücher, kann ich mir dabei natürlich auch die Freiheit nehmen, Ereignisse z.B. zu verdichten. Der Roman „Die Puppenspieler“ lässt in knapp einem Jahrzehnt Dinge stattfinden, die in Wirklichkeit innerhalb von etwa zwanzig Jahren passiert sind, um sie besser in Einklang mit der Entwicklung und dem Reifeprozess meiner Hauptfigur Richard zu bringen. Daher verstehe ich natürlich auch, dass die Verfilmung sich allein wegen des Zeitrahmens ihrerseits Freiheiten nehmen musste, um die von meinem Roman inspirierte Geschichte zu erzählen.

Wie gefällt Ihnen die Umsetzung Ihres Romans als Film?

Sowohl die intensive Bildersprache als auch die schauspielerischen Leistungen begeistern mich. Einige der Eingriffe, etwa, was das Verhältnis zwischen Jakob Fugger und Richard betrifft, erschienen mir erst etwas weitgehend, aber ich ließ mich auf sie ein, weil sie innerhalb der Filmwelt stimmig und gut gespielt sind. Andere Änderungen finde ich fantastisch: Wenn ich z.B. gewusst hätte, was Philip Moog aus Heinrich Institoris macht, hätte ich ihn nicht nach den ersten hundert Seiten schon aus dem Roman verschwinden lassen! Insgesamt kann ich dem Team sowohl hinter als auch vor der Kamera nur ein großes Kompliment machen, und hoffen, dass sie so viel Freude daran hatten, meine Figuren zum Leben zu erwecken, wie ich daran, ihnen dabei zuzuschauen.

KATHRIN RICHTER und JÜRGEN SCHLAGENHOF: Sie hatten als Drehbuchautoren die Aufgabe, den Roman von Tanja Kinkel fürs Fernsehen zu adaptieren. Was stand dabei im Zentrum Ihrer Arbeit?

Vor allem hat uns die Figur von Richard berührt. Ein kleiner Junge, dessen Mutter vor seinen Augen verbrannt wird. Wir haben uns gefragt, wie man mit einem derartigen Trauma weiterleben kann. Dieses erfundene Schicksal haben wir mit der historischen Figur Jakob Fugger verbunden, der als Finanzmagnat und moderner Networker seine Spur in der Weltpolitik des 15. Jahrhunderts hinterlassen hat. Die Komplexität von großer Geschichte am Faden einer persönlichen Beziehung – von Richard zu seinem Vater – erzählbar und erlebbar zu machen, war der Schwerpunkt der Drehbucharbeit. Diesen Vater-Sohn-Konflikt haben wir in einer äußeren Handlung, die wir frei nach den Motiven des Romans erfunden haben, weitergesponnen.

Welche Rolle spielt die Hexenverfolgung in der Geschichte?

Die Hexenverfolgung ist ein Höhepunkt in der Geschichte der Frauenfeindlichkeit. Die Sexualität der Frauen wird von religiösen Fanatikern als Hexerei dämonisiert. Das Werk "Der Hexenhammer" von Heinrich Institoris war über hunderte von Jahren eines der meistgelesenen Bücher. Darin werden Frauen zum Einfallstor des Bösen gemacht: Weil einzig der Teufel ihre sexuelle Gier befriedigen kann, schließen sie einen Pakt mit dem Bösen. Uns hat der Gegenwartsbezug der Geschichte interessiert. Religiöser Fundamentalismus als Instrument der Macht und des Terrors funktioniert gestern ganz ähnlich wie heute. Menschen werden verführt, an Dinge zu glauben, die es nicht gibt.
Dabei hat uns die Renaissance als schillernde Epoche fasziniert. Denn sie steht nicht nur für einen epochalen Neuanfang, die Blüte der Kunst, die Erfindung der modernen Geldwirtschaft und der Industrialisierung, sondern eben auch für die Dämonisierung von Frauen. Die Hexenverfolgung ist kein Produkt des Mittelalters, sondern der modernen Welt. Die Renaissance ist eine Epoche, in der Fortschritt und Rückschritt gleichzeitig existieren und in der ein deutscher Kaufmann zu einem der reichsten Männer der Welt aufsteigt.

LUCIE BATES, Sie haben die großartige Kostüme geschaffen. Wie sind Sie dabei vorgegangen?

Meine Arbeit begann wie immer mit der Lektüre des Drehbuches und infolgedessen mit der Erarbeitung der Rollen-Themen und des Farb-Konzeptes, mit Recherchen zur Zeit und den Orten der Handlung, z.B. Augsburg (Hof Fugger), Wandlitz (Kloster und Dorf), Innsbruck, Italien (Medici und Borgia) und Rom (Päpste, Kardinäle und weitere Ordensträger). Dann folgten die Entwürfe für die Anfertigung der Kostüme der Hauptrollen und eine umfangreiche und intensive Suche nach den richtigen Materialien und Stoffen sowie die Recherche in verschiedenen Kostümfundus‘ in Rom, Wien, Berlin und Prag. Dann habe ich ein Konzept zur Gestaltung und Interpretation der verschiedenen Charaktere und Themengruppen entworfen. Die Kostüme wurden in der Theaterkunst Berlin und in der eigenen Werkstatt in Prag angefertigt, und es wurden Stoffe aus Italien, England und Deutschland verarbeitet. Schuhe, Schmuck, Gürtel und verschiedene Kopfb edeckungen wurden in Berlin, Prag und Rom angefertigt. Die vielen unterschiedlichen Kostüme für die Komparsen haben wir in Kostümfundus‘ in Italien, Deutschland, Österreich und Prag gesucht und gefunden und durch spezielle Anfertigungen ergänzt. So konnten wir die Verschiedenheit der Menschen und die Unterschiede in deren Kleidung gestalten. Meine Ideen und Visionen wurden gemeinsam mit meinem Team, bestehend aus Assistentinnen, Garderobieren, Schneidern, Patinierern etc. umgesetzt.

PETRA C. HEIM: Wie sind Sie bei der Motivsuche vorgegangen?

Der größte Teil der zur Realisierung notwendigen Motive wurde in Tschechien gesucht und auch gefunden. Tschechien bietet auf Grund seines großen architektonischen Spektrums viele unterschiedliche Möglichkeiten zur mittelalterlichen Darstellung, von einfachen ländlichen Motiven, wie dem Kloster und dem Anwesen der Fugger, bis hin zu dem großen Landsitz der Medici. Tschechien hat den großen Vorteil, dass alle historischen Gebäude aus szenenbildnerischer Sicht in einem zum größten Teil optimalen Zustand sind, nicht überrenoviert. Die bauliche Substanz steht in einem guten Verhältnis zu unseren filmischen Ansprüchen. Alle italienischen Gebäude, die das Drehbuch vorgegeben hat, konnten somit auch in Prag und Umgebung realisiert werden. Weiterhin haben wir uns den italienischen Einfluss der Stadt auf die Architektur zunutze gemacht. Natürlich ist das umfangreiche Barandov- Filmgelände in Prag nicht zu vergessen. Eine große historische Produktion, "Die Medici", hatte auf dem Außengelände der Studios diverse Bereiche Roms aus der Zeit nachgebaut. Hier konnten wir mit einigen Veränderungen weitgehend alle Szenen "in der Stadt Rom" adaptieren. Auch existierten Kulissen-Bauten von anderen Filmprojekten in Prag, wie z.B. ein zeitlich passendes, mittelalterliches Dorf, das wir auch auf unsere filmischen Bedürfnisse angepasst haben. Wir haben außerhalb Prags in Zvikov, Kutna Hora, Telch, Krivoklat, Tocnik, Trebon und einer landschaftlich sehr reizvollen, italienisch anmutenden Landschaft (Rhana) im Norden gedreht. Den Rest der im Drehbuch vorgegebenen Landschaftsszenen wurden in der Toscana im Umkreis von Pienza gefunden. Die große Sequenz der Überquerung der Alpen haben wir in den bayerischen Alpen, in der Umgebung von Garmisch im Zugspitzmassiv, gedreht.

PROF. KARIM SEBASTIAN ELIAS: Sie haben die Filmmusik komponiert. Wie haben Sie sich dieser Aufgabe genähert?

Mit Rainer Kaufmann habe ich lange und inspirierend über die Haltung und das Seelenleben der Figuren gesprochen. Das war für mich der Ausgangspunkt für die Komposition der Filmmusik zu "Die Puppenspieler". Dabei war uns wichtig, einen "heutigen" Sound, der aktuell und nicht nach "Kostümfilm" klingt, zu kreieren. Wobei wir auch das Mittelalter in der Musik spürbar machen wollten. So habe ich einerseits das Brandenburgische Orchester Frankfurt/Oder und alte Instrumente wie Theorbe, Laute und Viola da Gamba aufgenommen, andererseits auch mit einem modernen, elektronischen Sound gearbeitet. Mit dieser Klangkreation wollten wir das jeweils Innere der Figuren erzählen. Es gibt wenige Momente, in denen meine Komposition "groß" wird und sich öffnet. Es überwiegt ein zurückhaltender, subtil psychologisierender Sound. Dieser will das äußere Geschehen im Bild nicht einfach doppeln, sondern möchte ein Hinweis darauf geben, was die Figur in ihrem Innern denkt und fühlt. Es geht um das, was die Figur "eigentlich" mit ihren Worten sagt oder was durch ihre Handlung gezeigt wird. Es ging mir in der Filmmusik um diese tiefliegenden Motivationen menschlichen Handelns und damit den bestimmenden Kern der Handlung. In der Zusammenarbeit mit den Produzenten und dem Regisseur ist eine Soundwelt entstanden, die ich in dieser Form noch nicht kreieren durfte. Dafür bin ich allen Beteiligten sehr dankbar.

BARBARA THIELEN: Was war für Sie als Produzentin die größte Herausforderung bei der Realisierung dieses Zweiteilers?

Auf Seiten der Produktion stellen sich bei einem historischen Stoff immer ganz besondere Herausforderungen. So haben wir mit über 2000 Komparsen gedreht und etliche historische Kostüme anfertigen müssen. Eine der größten Aufgaben war die Verschiebung des Kirchgestühls in der Kathedrale von Kutna Hora, das in einem Stück von einem tschechischen Fachmann angehoben und versetzt wurde, der sonst nur ganze Häuser verschiebt. Es war eine außerordentlich tolle Erfahrung, sich mit dem gesamten Team, einem außergewöhnlichen Regisseur wie Rainer Kaufmann und großartigen Schauspielern auf die Reise zu begeben und mitzuerleben, wie eine Idee wächst, mit Leben gefüllt und letztendlich zu einem großen historischen, aber auch sehr persönlichen Film wird. "Die Puppenspieler" weist zudem hochaktuelle Bezüge zu unserem heutigen Zeitgeschehen auf: Das Zusammenspiel von Politik, Wirtschaft und Religion, gesellschaftlicher Wandel und daraus resultierende Konflikte.