Interview mit Drehbuch, Regie, Produktion

Fragen an Andres Veiel (Regisseur und Drehbuchautor), Jutta Doberstein (Drehbuchautorin) und Thomas Kufus (Produzent)

Victor Graf (Ulrich Tukur) steht als Verteidiger der Bundesrepublik Deutschland im Gerichtssaal.
Ranghohe Vertreterinnen und Vertreter aus Politik und Industrie werden als Zeugen geladen. Das Gericht muss entscheiden, ob die deutsche Politik für ihr Versagen beim Klimaschutz zur Verantwortung gezogen und damit ein Präzedenzfall geschaffen wird.  | Bild: rbb/zero one film / Julia Terjung

"Ökozid" spielt im Jahr 2034, in einer Welt, die uns fern, aber gleichzeitig auch sehr nah ist. Wie inszeniert man in diesem Zusammenhang Zukunft?

Andreas Veiel: Unsere Herangehensweise konzentriert sich auf die Hochrechnung heutiger Entwicklungen, um durch die Brille der Zukunft das Heute anders betrachten und diskutieren zu können. Für unser Szenario 2034 haben wir uns auf die Themen Klima und Medien konzentriert. Wir dramatisieren den Verlauf der Klimakrise auf Grundlage gegenwärtiger Szenarien, beschleunigen ihren Verlauf. Dies war auch notwendig, um unsere wichtigste Zeugin, Angela Merkel, mit dieser Zukunft in den Dialog zu bringen.

Jutta Doberstein: Wichtig ist auch: Das macht die Klimakatastrophe nicht zur Fiktion. Wir versuchen, sie beiläufig in die Alltagserfahrungen der Protagonisten zu integrieren. Die extremen Wetterereignisse werden in Deutschland immer schwerere Schäden anrichten.

Andreas Veiel: Die von uns prognostizierten heißeren Sommer sind unmittelbar in die Entwürfe der Ausstattung eingeflossen. Die Set-Designer statteten die Motive mit Wasserspendern, Klimaanlagen bzw. hitzeabweisenden Vorhängen aus, und die Verlegung des Internationalen Gerichtshofes von Den Haag nach Berlin aufgrund von Sturmfluten ist ein weiteres Beispiel.

Thomas Kufus: Als es in die Vorbereitung und den Entwurf eines Settings ging, wurde es spannend: Wie bekommen wir eine möglichst realistische und trotzdem in die Zukunft gewandte Inszenierung hin? Wichtige Stütze war für uns und die Szenenbildabteilung um Silke Fischer das Provisorium eines Gerichtssaals, das wir in den ersten Minuten des Drehbuchs "gesetzt" hatten. Dieses Provisorium war Teil einer Strategie, die uns von allzu bekannten Mustern aus anderen Gerichtssälen und -filmen "erlösen" sollte. Wie gut sich das zeltartige Halbrund dann bespielen und inszenieren lassen sollte, hat uns angenehm überrascht!

Auch die Technik wird in den 14 Jahren sicherlich einen deutlichen Sprung gemacht haben?

Jutta Doberstein: Für die mediale Praxis im Jahr 2034 haben wir die Figur von Laurenz Opalka nach dem Vorbild von Dominic Cummings entwickelt, zusammen mit Cambridge Analytica das Mastermind hinter der erfolgreichen Social Media Kampagne des Brexit. Sein Zugriff auf KI, Gesichtserkennung, Bild- und Tonbearbeitung, aber auch sein Netzwerk für die Herstellung und Verbreitung von Nachrichten und (Fake-)News stehen sinnbildlich für die Bedrohung der Demokratie, die schon heute ablesbar ist.

Andreas Veiel: Deshalb war ein Schwerpunkt in der Requisite die Weiterentwicklung der bekannten Kommunikationsgadgets wie Google Glasses. Halsmikrophone verstärken nicht nur die Stimme im Raum, sondern übersetzen via Sprachalgorithmus das Gesagte in zahlreiche Sprachen. Beim Kostüm sind wir davon ausgegangen, dass die Mode in 14 Jahren nicht fundamental anders aussehen wird als 2020. Sie wird 2034 auch wieder mit Zitaten spielen.

Erzählen Sie ein wenig mehr zum Entstehungsprozess des Filmes. Also von der Stoffentwicklung zum fertigen Werk – Wie ist "Ökozid" entstanden?

Thomas Kufus: Ausgangspunkt waren die hohen Gewinne der Grünen nach den Landtagswahlen in Baden-Württemberg, dann auch in Bayern. Es war nicht mehr zu übersehen, dass die Fragen um Klimawandel und die leidenschaftlich geführte Diskussion um Missachtung der Grenzwerte in der Mitte der Gesellschaft angekommen waren. Was zunächst eine dokumentarische Serie werden sollte, geriet mehr und mehr unter den Druck der sich zuspitzenden Klima-Debatte, Fridays-for-Future-Bewegung und realen Klimakatastrophen überall auf der Welt. Die brennende Aktualität und der Umstand, dass die Finanzierung und Herstellung eines Filmprojekts Zeit brauchen, zwangen uns regelrecht dazu, die Handlung vorausschauend in die Zukunft zu legen.

Andreas Veiel: Wir haben 2018 in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern unterschiedlicher Disziplinen und Bürgerinnen und Bürgern Szenarien für die Zukunft der nächsten zehn Jahre entwickelt. Dabei wurde deutlich, wie allumfassend der Einfluss der zu erwartenden Klimakatastrophe auf alle anderen Lebensbereiche ist und wie sehr dies die Menschen beschäftigt. Der Hitze- und Dürresommer 2018 hat die Debatte um den Klimawandel endgültig in den deutschen Mainstream gebracht und uns die Dringlichkeit vor Augen geführt, das Thema fokussiert in einem Film zu vertiefen. Zeitgleich kam vom rbb das Angebot für einen 90-Minuten-Film im Rahmen einer Themenwoche.

Jutta Doberstein: Die Komplexität des Klimawandels für einen Film dieser Länge in einer stringenten Erzählung aufzubereiten wurde möglich durch eine Doktorarbeit, die den Einfluss deutscher Lobbyisten auf die Einführung des Emissionshandels untersucht. Die Arbeit beschreibt anhand einer akribischen Faktenrecherche, wie die Industrie bei der Einführung des Emissionshandels in enger Kooperation mit der Bundesregierung Klimaschutzmaßnahmen abschwächte oder ganz verhinderte.

Was hat Sie von diesen gewonnenen RechercheErkenntnissen am meisten schockiert?

Thomas Kufus: Die Chuzpe der Automobil- und EnergieLobby, bewusst auf Kosten anderer mit unabsehbaren Folgen ihre Eigeninteressen durchsetzen zu wollen und können.

Jutta Doberstein: Und die Diskrepanz zwischen dem Ruf, den Deutschland international genießt, und der Wirklichkeit. Seit Ende der 60er-Jahre ist wissenschaftlich bewiesen, dass der Klimawandel menschengemacht ist. Das haben auch die Bundesregierungen unter Schröder und Merkel nie in Zweifel gezogen. Im Gegenteil, gerade Angela Merkel hat sich international als Vorkämpferin des Klimaschutzes einen Namen gemacht. Alles nur Inszenierung? Die Recherche belegt eine Folge verpasster Chancen, Jahr für Jahr. Deutschland hat seine Vorreiterrolle in Sachen Klimaschutz nicht nur leichtfertig verspielt, sondern hinkt auch in der Entwicklung umweltfreundlicher Technologien anderen Ländern um Jahre hinterher.

Andreas Veiel: Ein Fehler, der sich in den kommenden Jahren dramatisch rächen wird. Die zitierten Fakten im Drehbuch wurden übrigens von Fachberatern für den Emissionshandel und die Klimaschutzmaßnahmen im Verkehrssektor überprüft. Wichtig war uns, auch die Verteidigung der Bundesrepublik mit einer fundierten Argumentation auftreten zu lassen. Auch hierfür recherchierten wir ausgiebig.

Der Film wurde an nur 19 Tagen gedreht und das als eines der ersten Projekte nach dem Corona-Lockdown. Wie hat die Corona-Krise die Dreharbeiten von "Ökozid" geprägt?

Andreas Veiel: Die Dreharbeiten begannen in der zweiten Juniwoche, sieben Wochen später als geplant. Schon in den Wochen vor Drehbeginn zeigte sich: Team und Ensemble waren erleichtert, dass die wochenlange Ungewissheit vorbei war. Es gab vor und nach dem Dreh kaum Ablenkungen. Der Dreh war von einem solidarischen Miteinander geprägt. Die übliche Segmentierung in Hauptrollen, Kleindarsteller und Komparsen wurde durchlässiger, mehr und mehr wuchs das Ensemble zusammen. Die Drehatmosphäre war durchgehend konzentriert und zugleich fokussiert. Für mich eine der schönsten Inszenierungserfahrungen!

Thomas Kufus: Außerdem hat die Corona-Pandemie ja ihre Ursache durchaus auch in der weltumspannenden Mobilität und Globalisierung, den von uns Menschen verursachten Zuständen. Insofern wirkte "Ökozid" wie ein Turbo für Team und Darsteller.