Interview mit Regisseur Oliver Haffner

Regisseur Oliver Haffner und Ilse Neubauer (Rolle: Johanna Schrödinger) bei den Dreharbeiten.
Regisseur Oliver Haffner und Ilse Neubauer (Rolle: Johanna Schrödinger) bei den Dreharbeiten. | Bild: BR/Geißendörfer Pictures/Hendrik Heiden

Was ist die Essenz von "Frau Schrödingers Katze"?

Alles ist mit allem verbunden. Um dies zu erkennen, muss man den neuen, ungewohnten Blick wagen, der eigenen Intuition folgen statt der scheinbar zwingenden Sachlage. Nichts anderes tut Polizeioberkommissarin Elisabeth Eyckhoff in ihrem dritten Fall: Sie folgt ihrer Intuition, allen Unwahrscheinlichkeiten zum Trotz, sie schert aus der polizeilichen Alltagsroutine aus, beschreitet neue Denk- und Ermittlungswege, rettet schließlich Frau Schrödingers Leben und ermöglicht sich so selbst eine Art beruflich-persönlichen Neustart.

Der Titel des Films "Frau Schrödingers Katze" bezieht sich ja augenzwinkernd auf das quantenphysikalische Gedankenexperiment des Physikers Erwin Schrödinger: Ist die Katze in der Kiste nun tot oder lebendig? Solange wir nicht in die Kiste blicken, ist die Katze tot und lebendig zugleich. Erst der Blick in die Kiste zwingt das Universum zur Entscheidung. Die betrachtende Person beeinflusst die materielle Realität durch ihre Aufmerksamkeit. Wir können das "einheitliche Feld", wie es Albert Einstein nannte, also allein schon durch unsere veränderte Aufmerksamkeit, durch Gedanken und Beobachtung, tatsächlich beeinflussen. Ein Gedanke gleicht somit dem Flügelschlag eines Schmetterlings im Amazonas, der sich am anderen Ende der Welt zu einem Orkan entwickelt.

Das klingt hochgegriffen für einen Sonntagabendkrimi – aber um nichts Geringeres geht in diesem Film: Wir sind dem Schicksal nicht ausgeliefert, sondern verfügen über ungeheure Gestaltungskraft, für uns selbst und alle anderen, wenn wir uns nur trauen, die Welt immer wieder neu zu betrachten und neue Wege zu beschreiten. Nur so bleiben wir im lebend-gestaltenden Austausch mit der Welt.

Die Stadt München, der Stadtteil Sendling, ist sehr präsent in Ihrem Polizeiruf. Welche Rolle spielt das im Film?

Ich selbst bin in München-Sendling aufgewachsen, genauer gesagt: in Obersendling. Insofern war die Arbeit an diesem Film auch eine freudvolle Rückkehr an die Schauplätze meiner eigenen Kindheit und Jugend. Die konkrete lokale Verortung von Handlung und Figuren, die sich in Sprache, Habitus und ganz spezifischen Lebenswelten niederschlägt, erzeugt für mich filmische Glaubwürdigkeit.

Und das ist die Währung, mit der im Film bezahlt wird – mit Glaubwürdigkeit. Ich denke sogar, je regionaler erzählt wird, desto größer das internationale Potential einer Geschichte. So vollziehen sich auch große Tragödien bzw. Tragikomödien im Kleinen, eben in Sendling: einem Viertel, in dem der Genossenschaftsbau neben Hochhäusern und der Einfamilienhaussiedlung existiert, in dem Kleingewerbetreibende und Arbeiterschaft genauso prägend sind, wie Angestellte, Rentner*innen und Vorstadtjugendliche, die auf Parkplätzen, in Industrieruinen und an Tankstellen abhängen. Eine wilde Mischung, die mit dem gängigen hübschen Bild vom Hochglanz-Schickeria-München der Innenstadt nicht viel am Hut hat – auch wenn diese als Sehnsuchtsort durchaus auch in Sendling herbeigesehnt wird, wie wir an Karin Meyer (Lilly Forgách) deutlich sehen. Dieses Spannungsfeld ist interessant und somit ist Sendling der ideale Ort für Elisabeth Eyckhoff, um neue, ungewohnte Ermittlungswege zu beschreiten. Tatsächlich haben wir den Großteil des Films auch tatsächlich an Originalschauplätzen in Sendling gedreht.

Erzählen Sie etwas über die Besetzung für diesen "Polizeiruf 110"!

Mir war es wichtig um die wunderbare Verena Altenberger, die als Bessie Eyckhoff eine zugereiste Österreicherin verkörpert, ein Ensemble Münchner Originale zu kreieren, was sich in Sprache und Habitus niederschlagen sollte. Verenas Spiel ist so pointiert, schlau und lebendig – für mich als Regisseur eine große Inspiration. Sie führt uns durch diese besondere Geschichte. Aber letztendlich muss ein Ensemble im Gesamten überzeugen. Zusammen mit der Redaktion und der Casterin Daniela Tolkien ist uns dies meines Erachtens auch gelungen. So konnten wir mit Ilse Neubauer eine große, prominente Münchner Schauspielerin für die Rolle der Frau Schrödinger gewinnen, eine Fernsehheldin meiner Kindheit, die das filmische Erscheinungsbild Münchens über Jahrzehnte mitgeprägt hat. Mit emotionaler Tiefe und feinsinnigem Humor spielt sie eine alte Münchner Dame, die allen Alterswidrigkeiten und Mordanschlägen zum Trotz unbeschadet durchs Leben geht – und dabei sogar auf wundersame Weise immer vitaler wird.

Mit Lilly Forgách und Ferdinand Dörfler haben wir das kleinbürgerliche Sendlinger Paar, das zwischen unbedingtem Aufstiegswillen und trotziger Frustration Frau Schrödinger nach dem Leben trachtet und sich am Ende selbst durch Unbeherrschtheit ein Bein stellt. Bösartig und tragisch zugleich. Stephan Zinner und Heinz-Josef Braun verkörpern Elisabeth Eyckhoffs Polizeikollegen und Vorgesetzte mit stoischem bayerischen Beamtenhabitus, der dann doch für die ein oder andere Überraschung gut ist. Dann noch der snobistische Möchtegern-Schickeria Notar Leopold Gaigern, ideal verkörpert von Florian Karlheim. Und von außen eingeflogen, findet Bessie im charmant-zerstreuten Physiker Adam Millner, gespielt von Camill Jammal, ein intellektuell versiertes Gegenüber, der ihr nicht nur geistig gewachsen ist. So wird der quantenphysikalische Diskurs für die beiden schließlich auch zum Herzöffner.

"Frau Schrödingers Katze" hat eine ganz besondere, fast nostalgisch oder und streng anmutend Bildsprache. Was hat Sie inspiriert?

Die Ruhe und Rückschau eines gelebten Lebens – Frau Schrödingers Leben. Das Leben einer über 80-jährigen Dame zwischen melancholischer Rückschau und humorvoller Zuversicht. Darin schwingt sicherlich auch die Nostalgie des alten Münchens der 1970er und 1980er Jahre mit. Hinzu kommt der fast analytisch betrachtende Blick auf die ungeheuren Ereignisse und abstrusen Verquickungen. Die strenge Bildsprache (Kamera: Kaspar Kaven) rückt für mich das Spiel der Schauspieler*innen ins Zentrum und ermöglicht dem Publikum sich selbst zu den Handlungen der Figuren und deren psychologischer Entwicklung zu positionieren.

Ich bin der Überzeugung, dass sich viele Verbrechen aus Blödheit im Affekt vollziehen, aus unglücklichen Verquickungen, die nicht vorhersehbar sind – darauf wollte ich mich durch Ruhe und Nüchternheit konzentrieren – und dem darin eingewobenen feinen Humor den entsprechenden Raum eröffnen. Keine unnötige visuelle Ablenkung, Konzentration auf die Figurenentwicklung und das dynamische Spiel der Schauspieler*innen. Insofern liegt in der scheinbaren visuellen Strenge große Verspieltheit. Auch bis ins letzte Detail des Szenenbilds (Renate Schmaderer) – bei Kostüm (Esther Amuser) und Maske (Nannie Gebhardt-Seele). Denn auch hier gilt: Im Film wird mit Glaubwürdigkeit bezahlt und spezifischer Einzigartigkeit.

Wie sind Ihre Erfahrungen als Regisseur eines Fernsehfilms gegenüber Kinoproduktionen?

Wenn ich einen Film mache, mache ich einen Film. Egal, ob fürs Kino oder das Fernsehen. Der Anspruch bleibt für mich immer der gleiche. Es soll ein guter Film werden, der es wert ist, erzählt zu werden. Und angesichts der heutigen Bilderflut ist diese "Wertigkeit" umso wichtiger. Natürlich ist es durchaus eine Herausforderung mit einer sehr begrenzten Anzahl von Drehtagen (im Vergleich zum Kinofilm) dem eigenen Qualitätsanspruch gerecht zu werden. Auch das strenge zeitliche Korsett des Formats – 90 Minuten – ist eine erzählerische Herausforderung, die es vielleicht in Zukunft noch mehr zu hinterfragen gilt.

Aber damit kann man umgehen, man weiß darüber ja im Vorhinein Bescheid. Es gibt für mich nur drei entscheidende Voraussetzungen, ob ich ein Filmprojekt annehme und mich auf den Weg mache: ein gutes Drehbuch, eine gute Besetzung und das Vertrauen, das man von Seiten der Auftraggeber meiner Kreativität entgegenbringt und damit meinen Personalentscheidungen in Bezug auf die künstlerischen "heads of department" respektiert. Denn meine Arbeit kann sich erst im Team entfalten. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, kann ich arbeiten, ob an einem Kino- oder einem Fernsehfilm.

Der "Polizeiruf 110" feiert in diesem Jahr sein 50-jähriges Jubiläum. "Frau Schrödingers Katze" wird zu diesem Anlass ausgestrahlt. Was ist das Besondere an der Inszenierung eines Polizeirufs?

Das kann ich Ihnen so nicht sagen, es ist ja mein erster Polizeiruf. Ob es der letzte bleibt, weiß ich noch nicht. Ich verrate Ihnen aber eines: Ich mag eigentlich gar keine Krimis und leide darunter, dass das deutsche Fernsehen so sehr von Krimiformaten dominiert wird. Bei "Frau Schrödingers Katze" handelt es sich für mich aber auch eher um eine tragisch-komische Sozialstudie über das kriminelle Potential des Kleinbürgertums und dessen Umgang damit. Vielleicht eher eine Kriminalgeschichte als ein Krimi. Eine Art Fabel, streckenweise märchenhaft, dann wieder ganz hart und realistisch mit tödlicher Konsequenz.

Es war aber durchaus interessant für mich, mich zum ersten Mal filmisch mit einer Sicherheitsbehörde wie der Polizei zu beschäftigen – auch hier muss glaubwürdig erzählt werden: Besprechungen, Verwaltungsvorgänge, trockene Ermittlungsarbeit glaubhaft und dennoch unterhaltsam zu inszenieren ist eine große Herausforderung. Aber der eigentliche Reiz dieser Arbeit lag für mich in den tollen, vielschichtigen Figuren und der besonderen Geschichte, die sich der Autor Clemens Maria Schönborn ausgedacht hat. Und meine Begeisterung für die Schauspielerin Verena Altenberger. Dass es sich dabei dann auch noch um einen Polizeiruf handelt, ist für mich interessant, war aber nicht entscheidend für meine Zusage bei diesem Projekt.

Der Titelsong "Wann strahlst du?" ist von Erobique. Carsten "Erobique" Meyer hat ja auch die Musik für den Tatortreiniger gemacht. Wie kam es bei "Frau Schrödingers Katze" zur Musikauswahl?

Den Song hat bereits der Drehbuchautor Clemens Maria Schönborn ins Drehbuch geschrieben – und, was könnte auch passender sein als "Ich liebe die Träumer, die Aufbruchsgeister, die überall Samen erkennen. Die Fehlschläge nicht zu ernst nehmen und immer das Gute benennen..."? Diese Textzeile beschreibt genau die Situation von Elisabeth Eyckhoff zu Beginn des Films, die sich im noch ungerichteten Aufbruch in eine noch nicht konkret beschreibbare Zukunft befindet. Sie fürchtet sich nicht vor der Ungewissheit, lässt sich auf Neues ein, folgt ihrer Intuition und wird letztendlich dafür belohnt. Eine inspirierende Person diese Elisabeth Eyckhoff und ein ebenso inspirierender Song! Das hat einfach gepasst. Aber der Song eröffnet den Film ja nur.

Die Filmmusik, die von Arash Safaian komponiert wurde, entwickelt ihre ganz eigene Klangwelt: Die von mir beschriebene Klarheit und Konzentration der Bildsprache wird durch eine pointierte Instrumentierung gestützt, die Verspieltheit der Handlung schlägt sich einmal in jazzigen Einschüben nieder, an anderen Stellen gewährt uns die Musik Einblicke in die emotionale Innenwelt der Figuren und lässt uns Elisabeth Eyckhoff und ihren Gedanken ganz nahekommen. Ich bin sehr glücklich über diese besondere Komposition, die sich so wunderbar leicht in die Gesamtvision des Films eingeflochten hat.

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