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Australien: Melbourne - nach dem harten Lockdown nun die strengsten Impfvorschriften

Vater und Sohn vor einem Laptop, Mutter in Hintergrund in der Küche.
Lockdown auf unbestimmte Zeit für Familie Harding. | Bild: NDR

Michelle Harding hat im Moment viel Zeit zum Kochen und Backen. Sie leidet an Multipler Sklerose und hat Angst, sich gegen Covid-19 impfen zu lassen. Doch in ihrem Heimat-Bundesstaat Victoria kann sich niemand freitesten. Und das heißt für die 50 Jahre alte Hausfrau: kein Friseur, kein Restaurant, kein Weihnachts-Shopping – ein Lockdown auf unbestimmte Zeit. "Wir können nicht mal mehr zu unseren normalen Zeiten in die Kirche gehen. So wie früher jeden Sonntag, aber das wurde abgelehnt. Das allein ist schon seelisch schwer zu ertragen. Und wir können nur noch schwer mit anderen Menschen reden, weil viele nicht das Gleiche sehen wie wir", sagt Harding.

Lockerungen an bestimmte Impfziele geknüpft

Ihr Mann Simon – ebenfalls ungeimpft – ist unbezahlt freigestellt. In den kommenden Tagen verliert der Gefängniswärter seinen Job wohl endgültig. Denn fast jeder, der nicht im Homeoffice arbeiten kann, muss sich impfen lassen. Das sieht Victorias Notstandsverordnung so vor. Simon sieht seine Menschenrechte verletzt und geht vor Gericht: "Es geht um Angst. Es heißt: Impfung oder Job. Ist das der richtige Grund, sich irgendeiner medizinischen Behandlung zu unterziehen. Wenn man das wohl den Otto Normalverbraucher auf der Straße fragen würde. Ist das richtig? Ich sage: nein."

Melbourne ist die Stadt mit den meisten Lockdown-Tagen der Welt, insgesamt fast neun Monate. Aus dem letzten mussten sie sich herausimpfen. Weil es der Regierung nicht schnell genug ging, hatte sie Lockerungen an das Erreichen bestimmter Impfziele geknüpft. "Wir haben eine wichtige Vereinbarung. Sie gehen Sich impfen und dann öffnen wir. Und ich halte mich an mein Wort", hieß es von Daniel Andrews, Premierminister Victorias.

Harter Kurs gegen Impfverweigerer

Proteste in Melbourne.
Immer wieder gibt es Proteste gegen die strenge Pandemie-Politik. | Bild: NDR

Brendan Allen hat seine eigene kleine Baufirma. Er hat kein Problem mit der Verpflichtung zum Impfen. Er vertraut dem Rat von Experten und Regierung. Nach den ganzen Lockdowns will er wie viele andere auch einfach nur ein normales Leben zurück. Auch wenn das mit Druck verbunden ist. "Ich habe schon zwei Arbeiter wieder nach Hause geschickt, weil sie ungeimpft hier erschienen sind. Wenn ich sie arbeiten lasse, würde mich das 20.000 Dollar Strafe kosten. Ob ich das also gut finde oder nicht, diese Summe gibt am Ende den Ausschlag bei jeder Entscheidung."

Seit Monaten gibt es in Melbourne immer wieder Proteste gegen die strenge Pandemie-Politik. Streng, aber erfolgreich. Denn inzwischen sind mehr als 90 Prozent aller über 16-Jährigen in Victoria voll geimpft. Und selbst manche Experten halten den harten Kurs gegen Verweigerer nicht mehr für verhältnismäßig. Im Parlament von Victoria treffen wir den Abgeordneten David Limbrick von der Liberal Democratic Party. Er selbst ist aus Überzeugung geimpft, aber gehört zu denen, die warnen, dass die Regionalregierung die Pandemie nutze, um mit einem neuen Gesetz die Freiheitsrechte einzuschränken: "Wenn wir die Fähigkeit der Menschen ignorieren, eigene Entscheidungen zu treffen und einfach nur anordnen. Und wenn statt der Menschen selbst, die Regierung die Risiken bewertet, dann begeben wir uns hier auf einen gefährlichen Weg."

Der traditionelle Queen Victoria Markt erwacht langsam wieder zum Leben. Marktfrau Rosa Ansaldo – voll geimpft - arbeitet hier seit 30 Jahren. "Wir haben viel mitgemacht hier in Melbourne", sagt sie. Die meisten Menschen sehen daher den Sinn der Impfung. Doch die Regierung habe auch Fehler gemacht: "Die Regierung hat das mit der Impfpflicht schlecht angestellt. Zu viel Arroganz. Das hätten sie auch freundlicher verpacken können. Sie hätten zu den Firmen gehen und es erklären sollen: 'Schaut, wir haben ein Problem und das ist das Beste für alle.' Statt einfach vor die Presse zu treten und anzuordnen. Sowas ärgert die Leute. Keiner lässt sich doch gern was vorschreiben.

Australian Open in Melbourne: Teilnahme nur geimpft

Unterdessen laufen die Vorbereitungen für das wichtigste Sport-Ereignis des Jahres in Australien: Mitte Januar finden die Australian Open in Melbourne statt. Auch internationale Top-Stars müssen dann geimpft sein, so der mehrfache Grand-Slam-Sieger im Doppel Todd Woodbridge. Ausnahmen sind in Melbourne nicht vermittelbar. Auch wenn nun vielleicht sogar der Titelverteidiger Novak Djokovic deshalb nicht anreist. "Für unsere Stadt ist es wichtig, dass jeder der hierherkommt, sich die Vorschriften anschaut. Wenn ich nach Deutschland käme, würde ich mich auch an alles halten. Und die Tennis-Profis, die hierherkommen, werden das anerkennen müssen", sagt Woodbridge.

Für die einen geht es um ein wichtiges Tennisturnier, für die anderen um ihre Lebensgrundlage. Simon Harding und seine Familie sagen: „Wir sind keine Impfgegner, nur gegen diese Impfung.“ Sie hätten sich doch sonst immer an alle Regeln gehalten. "Wir sind die Aussätzigen wegen einer einzigen Entscheidung, die wir getroffen haben Das ist doch unser Menschenrecht nein zu etwas zu sagen, dem wir nicht vertrauen." Der Job weg und ein Lockdown mit noch offenem Ende für sie. Geimpfte dagegen habe alle Freiheiten zurück. Victoria hält diesen Kurs für zwingend, um die Pandemie zu besiegen. Der Premierminister verkündete gerade stolz: Sein Bundesstaat könnte bald einer der meistgeimpften Orte der Welt sein.

Autorin: Sandra Ratzow, ARD-Studio Singapur

Stand: 28.11.2021 20:23 Uhr

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