Faktencheck zu "maischberger"

Sendung vom 20.03.2024

Faktencheck

Die Gäste (v.l.n.r.): Mariam Lau, Gudrun Engel, Dieter Nuhr, Amelie Fried
Die Gäste (v.l.n.r.): Mariam Lau, Gudrun Engel, Dieter Nuhr, Amelie Fried | Bild: WDR / Oliver Ziebe

Bei Maischberger wird engagiert diskutiert, Argumente werden ausgetauscht, es wird auch schon mal emotional und manchmal bleibt am Ende keine Zeit, um alles zu klären. Wenn Fragen offen bleiben, Aussagen nicht eindeutig waren oder einfach weitere Informationen hilfreich sein könnten, schauen wir nach der Sendung noch einmal drauf – hier in unserem Faktencheck.

Und das schauen wir uns an:

  • Wie soll das Rentenniveau nach den Plänen der Ampel stabilisiert werden?

Wie soll das Rentenniveau nach den Plänen der Ampel stabilisiert werden?

SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert äußerte sich in der Sendung zur geplanten Rentenreform der Ampel-Koalition, deren Ziel es ist, das Rentenniveau langfristig stabil zu halten. Kühnert räumte ein, dass dieses Vorhaben mit steigenden Staatsausgaben verbunden sein wird. Gleichzeitig betonte er, dass durch ein Absinken des Rentenniveaus mehr Menschen auf die Grundsicherung im Alter angewiesen wären. Wir schauen uns die Zahlen noch einmal genauer an.

Rentenpaket II: Wie will die Ampel das Rentenniveau stabilisieren?

Maischberger: "Die Ampel hat ein Versprechen gegeben, dass das Rentenniveau stabil bleibt bei 48 Prozent, das ist die Haltelinie. Darunter soll es nicht sinken. Und da sind viele skeptisch, zum Beispiel ein Wirtschaftsweiser, der heißt Martin Werding. Er sagt, die Effekte der Haltelinie kommen schleichend, aber sie werden Jahr für Jahr stärker. Und er rechnet folgendes vor: 2027 fällt das Rentenniveau ohne Reform erstmals unter 48 Prozent. Laut Gesetzentwurf kostet das 0,8 Milliarden Euro, um das zu verhindern. 2030 werden daraus schon 9 Milliarden Euro. 2040 sind wir bei 40 Milliarden Euro, die Tendenz ist steigend. Und zählt man alles zusammen, dann ergeben sich bis 2045 Mehrausgaben von 520 Milliarden Euro. Herr Kühnert, wo nehmen Sie denn die 500 Milliarden her?"

Kühnert: "Ja, nach solchen Kaskaden sind natürlich alle schwindlig gespielt und kurz davor, die gesetzliche Rente in Deutschland abschaffen zu wollen. Dahinter stehen ja Menschen. Wir reden hier über jetzt schon mehr als 20 Millionen Menschen in Deutschland, die Altersrenten beziehen, die sind real da. Man kann natürlich die Rentenreform nicht machen, das Rentenniveau absinken lassen. Dann sage ich Ihnen, was passiert. Dann werden wir mehr Menschen in Altersarmut haben. Was passiert, wenn wir mehr Menschen in Altersarmut haben? Dann werden wir mehr Menschen haben, die Grundsicherung im Alter beziehen. Wer bezahlt Grundsicherung im Alter? Das tut nicht der liebe Gott, sondern das tut am Ende unser Sozialstaat, das tun wir alle mit Mitteln, die wir gemeinsam aufbringen müssen. Es geht also hoffentlich nicht um die Frage, ob wir Menschen, die ein Leben lang gearbeitet haben, jahrzehntelang gearbeitet haben, ob wir denen eine gute Lebensstandardsicherung im Alter ermöglichen mögen, sondern wie wir das machen wollen. Darum geht der politische Streit."

Maischberger: "Bei 500 Milliarden ist [die Frage nach dem] Wie durchaus berechtigt. 500 Milliarden ist eine Menge Geld."

Kühnert: "Auf mehr als 20 Jahre gerechnet."

Maischberger: "Okay."

Hintergrund: Wie soll das Rentenniveau nach den Plänen der Ampel stabilisiert werden?

Wer in Rente geht, hat in der Regel weniger Geld zur Verfügung als während der Erwerbstätigkeit. Wie groß dieser Unterschied im Durchschnitt ist, darüber gibt das Rentenniveau Aufschluss. Das Rentenniveau beschreibt die Relation zwischen einer standardisierten Rente (45 Jahre Beitragszahlung auf Basis des durchschnittlichen Einkommens) und dem durchschnittlichen Einkommen eines Arbeitnehmers in Deutschland. Aktuell liegt das Rentenniveau in Deutschland bei 48,15 Prozent. Konkret bedeutet das: Wer 45 Jahre lang zum derzeitigen Durchschnittseinkommen von ca. 3.780 Euro (Quelle: Statistisches Bundesamt, Deutsche Rentenversicherung) gearbeitet und entsprechende Rentenbeiträge geleistet hat, erhält aktuell eine Rente von 1.820 Euro (48,15 Prozent von 3.780 Euro).

Da sich das Rentenniveau aus Durchschnittswerten berechnet, die sich fortwährend verändern, sagt es allerdings wenig über den Lebensstandard des einzelnen Rentners aus. Nicht nur verändert sich das Durchschnittseinkommen in Deutschland regelmäßig – es ist auch unwahrscheinlich, dass ein Arbeitnehmer sein Leben lang zum selben Lohn gearbeitet hat. Man kann also nicht davon ausgehen, dass man am Ende des Erwerbslebens eine Rente in Höhe von 48 Prozent des Einkommens erhält. Wie viel Rente man am Ende tatsächlich bekommt, hängt von verschiedenen Faktoren ab: individuelle Rentenversicherungsbeiträge, Versicherungsdauer, Einkommen während des Erwerbslebens, Renteneintrittsalter.

Das Rentenniveau dient vor allem als statistische Kennzahl, die Auskunft über die allgemeine Leistungsfähigkeit des Rentensystems gibt.

Bundesregierung will Rentenniveau dauerhaft stabilisieren

Mit einem neuen Reformpaket, das Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) und Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) Anfang März vorstellten, will die Bundesregierung das Rentenniveau dauerhaft stabilisieren. Bis 2039 soll ein Rentenniveau von 48 Prozent garantiert werden. Nach Modellrechnungen der Rentenversicherung würde diese sogenannte Haltelinie von 48 Prozent schon im Jahr 2026 unterschritten werden, wenn der Staat nicht entsprechend gegensteuert. Grund dafür ist die Alterung der Gesellschaft: Allen Prognosen zufolge müssen künftig immer weniger Beitragszahler für die Altersbezüge von immer mehr Rentnern aufkommen.

Wie bereits in der Sendung angesprochen, hat sich der Wirtschaftsweise Martin Werding intensiv mit der Frage beschäftigt, welche finanziellen Auswirkungen die von der Ampel-Regierung angestrebte Absicherung des Rentenniveaus hätte. "Die Effekte kommen schleichend, aber dann Jahr für Jahr immer stärker", so Werding gegenüber der Süddeutschen Zeitung. "Bis 2040 kommt man auf enorme Summen, auf dreistellige Milliardenbeträge." Bis 2040 addieren sich die Mehrkosten des geplanten Rentenpakets laut Werding auf 296,8 Milliarden Euro. Bis 2045 umfasst die Rechnung 520,5 Milliarden Euro.

Diese Mehrausgaben sollen laut Reformplänen zum Großteil durch eine Erhöhung der Rentenbeiträge gestemmt werden. Die Beiträge sollen aber erst im Jahr 2028 steigen: von den aktuellen 18,6 Prozent auf 20 Prozent. Für 2035 ist eine weitere Erhöhung auf 22,3 Prozent geplant. Wie in Deutschland schon jetzt üblich, werden die Beiträge jeweils zur Hälfte von Arbeitgeber und Arbeitnehmer gezahlt.

Als zusätzliche Finanzierungssäule will die Ampel die sogenannte Aktienrente einführen. Wie diese genau funktionieren soll, haben wir uns bereits im Faktencheck zur Sendung vom 12.3.2024 angeschaut.

Während die oben genannten 520 Milliarden Euro durch erhöhte Beiträge und Aktienrente gedeckt werden sollen, wird durch die Reformpläne voraussichtlich auch die Staatskasse stärker belastet werden. Denn seit Jahrzehnten finanziert sich das Rentensystem nicht allein durch die eingezahlten Beiträge, sondern zu einem großen Teil auch durch Zuschüsse des Bundes. Schon heute unterstützt der Staat die Rentenversicherung mit mehr als 100 Milliarden Euro pro Jahr. Rentenexperte Martin Werding rechnet damit, dass sich die Zuschüsse bis 2045 um etwa 74,6 Milliarden Euro erhöhen werden. Diese Zuschüsse müssen durch Steuereinnahmen getragen werden.

Kritiker: Renteneintrittsalter an Lebenserwartung anpassen

Kritik an den Reformplänen kommt u.a. von der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände (BDA). Ihr Präsident Rainer Dulger wirft der der Ampel-Koalition vor, sie wolle die Kosten des demografischen Wandels komplett auf die Beitragszahler abwälzen. "Den Rentnern wird das heutige Leistungsniveau garantiert, die Beiträge sollen dafür künftig unbegrenzt steigen können", so Dulger. Auf lange Sicht müsse stattdessen das Renteneintrittsalter steigen: "Langfristig wird kein Weg daran vorbeiführen, das gesetzliche Rentenalter zu dynamisieren, also an die durchschnittliche Lebenserwartung zu koppeln." Diesen Ansatz unterstützt auch die Wirtschaftsweise Veronika Grimm. "Die Formel in Zukunft könnte sein: Nimmt die Lebenserwartung um ein Jahr zu, so würden zwei Drittel des zusätzlichen Jahres der Erwerbsarbeit zugeschlagen und ein Drittel dem Ruhestand", erklärte Grimm im August 2023. Sie betonte allerdings auch, dass es bei gesundheitlichen Beeinträchtigungen Ausnahmen geben müsse.

Bislang ist gesetzlich geregelt, dass das Renteneintrittsalter bis 2031 auf 67 Jahre steigen wird. Eine weitere Erhöhung schloss SPD-Arbeitsminister Hubertus Heil wiederholt aus.

Sinkendes Rentenniveau steigert Armutsrisiko im Alter

Kevin Kühnert sagte in der Sendung, dass ein Absinken des Rentenniveaus zu einer steigenden Zahl von Grundsicherungsempfängern führen würde. Der Gedanke dahinter: Wenn die Rente nicht mehr zur Deckung des Lebensunterhalts ausreicht, muss der Sozialstaat einspringen. Wie sich das Rentenniveau auf das Armutsrisiko im Alter auswirkt, hat das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) genauer unter die Lupe genommen. In einer Studie aus dem Jahr 2019 stellten die Ökonomen fest, dass sich die Gefahr, im Alter nicht mit dem eigenen Geld über die Runden zu kommen, mit einem Rückgang des Rentenniveaus erhöht. Um dem Anstieg des Armutsrisikos entgegenzuwirken, müsste das Absinken der gesetzlichen Rente ausgeglichen werden, so die Autoren.

Schon jetzt sind rund 700.000 Menschen auf die sogenannte Grundsicherung im Alter angewiesen. Der Sozialverband VDK geht zudem von einer großen Zahl an Menschen aus, die eigentlich Anspruch auf Grundsicherung im Alter hätten, die Leistung aber nicht beantragt haben – entweder weil sie die Leistung nicht kennen oder aus Scham, die Leistung in Anspruch zu nehmen.

Die Kosten, die dem Staat durch den Posten "Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung" zuletzt entstanden sind, belaufen sich laut Bundesministerium für Arbeit und Soziales auf rund 9 Milliarden Euro pro Jahr (Stand: 17.04.2023).

Fazit: Laut den Reformplänen der Ampel soll bis 2039 ein Rentenniveau von 48 Prozent garantiert werden. Weil jedoch durch die demografische Entwicklung in Deutschland immer weniger Beitragszahler für immer mehr Rentner aufkommen müssen, ist diese Stabilisierung mit deutlichen Mehrausgaben verbunden. Die Bundesregierung will dies größtenteils durch eine schrittweise Erhöhung der Rentenbeiträge stemmen. Arbeitgeberverbände kritisieren das und fordern stattdessen eine Anpassung des Renteneintrittsalters an die durchschnittliche Lebenserwartung. Kevin Kühnert sagte in der Sendung, dass ein sinkendes Rentenniveau die Zahl der Grundsicherungsempfänger in die Höhe treiben würde. Entsprechende Studien belegen, dass ein Absinken des Rentenniveaus das Risiko von Altersarmut erhöht. Dass in diesem Fall mehr Menschen Grundsicherung in Anspruch nehmen würden, ist absehbar.

Stand: 21.03.2024

Autor: Tim Berressem