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100. Geburtstag von Loriot: Hommage in ARD-Doku

Wie der große Humorist die westdeutsche Gesellschaft sezierte

PlayVicco von Bülow alias Loriot
ARD-Doku: Hommage an Loriot zum 100. Geburtstag | Video verfügbar bis 05.11.2024 | Bild: IMAGO / M&K

Er war komisch, ohne laut oder gemein zu sein. Er war ein Virtuose der Sprache und ein Meister des Timings. Vicco von Bülow alias Loriot, der am 12. November 100 Jahre alt geworden wäre, ist immer noch einer der populärsten deutschen Humoristen der Bundesrepublik, seine Sketche gehören längst zum deutschen Kulturgut. In der großen ARD-Doku "Loriot100" wird nicht nur das umfangreiche künstlerische Werk Loriots gezeigt, sondern das Lebensgefühl einer Ära, westdeutsche Zeitgeschichte.

"Der hat einen an der Murmel, das gucke ich mir genauer an"

Loriot gelang es, seinen Namen zum Genre zu machen – um bizarre Alltagssituationen zu beschreiben, reicht bis heute der Ausruf: "Wie bei Loriot!" Das französische Wort für Pirol machte er zu seinem Künstlernamen, war der Vogel doch das Wappentier der adligen Familie von Bülow, die eigentlich aus dem ostdeutschen Brandenburg stammte.

Unvergessen ebenso der Sketch, in dem Loriot ein schief hängendes Bild gerade auszurichten versucht und dabei das ganze Zimmer komplett verwüstet. Mit seinem schrägen Witz prägte Loriot auch Komiker der jüngeren Generation wie Hape Kerkeling: "Ich bin am Bildschirm kleben geblieben und dachte: 'Der ältere Herr, der hat einen an der Murmel, das gucke ich mir genauer an.'" Loriot, so Kerkeling, habe die Deutschen immer wieder in ihrer "gespielten Weltläufigkeit" ertappt, am Ende erwiesen sie sich doch oft als spießig. Für den österreichischen Karikaturisten Gerhard Haderer ist Loriots Humor so gekonnt-subversiv, weil er sich seine eigene Bürgerlichkeit zum Thema genommen habe.

Feiner Humor und subtile Gesellschaftskritik multimedial

Loriot war ein messerscharfer Menschenbeobachter und ein nobler Humorist. Liebevoll entlarvte er die Kleinbürgerlichkeit der Deutschen. Ob zu Weihnachten bei Familie Hoppenstedt ("Früher war mehr Lametta") oder mit den Herren Müller-Lüdenscheidt und Klöbner ("Ich sitze gern mal ohne Wasser in der Wanne") – seine Figuren waren über Jahrzehnte fast in jedem bundesdeutschen Wohnzimmer zu Hause – damit schrieb Loriot Fernsehgeschichte. Darüber hinaus drehte er "Pappa Ante Portas" und "Ödipussi", inszenierte Theaterstücke, war Cartoonist beim Stern.

Vom Oberleutnant zum Karikaturisten

"Loriot100" streift auch eher unbekannte Seiten seiner Biografie. 1923 in Brandenburg an der Havel geboren, wuchs Vicco von Bülow bei seiner Großmutter auf. Der Abkömmling einer Offiziersfamilie diente im Zweiten Weltkrieg drei Jahre an der Ostfront, standesgemäß als Oberleutnant. Darüber wird er später nicht sprechen, bei den Kriegserlebnissen blieb er wortkarg, ein Leben lang.

"Das Kriegsende war für mich insofern ärgerlich, als es mir erneut die Berufsfrage stellte", sagte er lapidar in einem Interview, um wie eine seiner Figuren fortzufahren: "Schließlich folgte ich einem Ruf der Forstwirtschaft und begann eine vielversprechende Holzfällerkarriere." Dabei vererbte ihm sein Vater, ein hochrangiger Polizeioffizier, nicht nur einen preußischen Hang zur Perfektion, sondern auch die Liebe zu Literatur und Theater: "Mein Vater, der im Grunde hätte sagen müssen: 'Junge, du wirst Arzt oder Rechtsanwalt.' Der sagte: 'Nein, du kannst ganz gut zeichnen, das kannst du vielleicht besser als andere. Ich meine, du solltest auf eine Kunstakademie gehen.' Ungeheuer für einen Vater, der sein Leben lang Beamter war und Offizier."

Knollennasenmännchen als Spiegel der deutschen Seele

Nach einigen Semestern an der Hamburger Kunstakademie, eröffnete sein kühner Strich ihm tatsächlich eine Laufbahn als Karikaturist. In den aristokratischen Genpool der von Bülows mischte sich eine Knollennase. Loriot nannte es sein kleines Männchen, das ihn gut ernähre und zu dem er sehr gut sein wolle. Dieses Männchen, sein Markenzeichen, war auch immer sein Alter Ego. Es diente ihm zur Seelenschau – ins eigene, gleichwohl ins deutsche Gemüt. Irgendwann landeten zwei dieser knollnasigen Männer, Müller-Lüdenscheidt und Klöbner, in einer Badewanne. Ewige Metapher für die alte Bundesrepublik.

Loriot lehrte die Deutschen Selbstironie und hielt ihnen mit seinen Figuren einen Spiegel vor, wie sie sich nach Krieg und Wirtschaftswunder zu Hause eingerichtet hatten und beschäftigt waren mit den Herausforderungen des Alltags, wie dem Bettenkauf oder dem Essen einer sehr gut gewickelten Kohlroulade. "Da wird unsere Gesellschaft seziert – diese Fassade, dieses Nicht-Authentisch-Sein-Können, daran krankt unsere Gesellschaft auch immer noch. Loriot hat uns vor Augen geführt, wie komisch das ist, wie komisch wir sind", so Kerkeling.

 "Loriot100" setzt diesem komischen Vogel, der heute mit seiner altmodischen Empathie für die Deutschen wie zugeflogen wirkt, ein Denkmal. Es gibt Historiker, die meinen, anhand von Loriot könne man die Geschichte der Bundesrepublik erzählen. Und plötzlich, in diesem Licht, flackert über ihr eine Art Heiligenschein auf.

Autor: Titus Richter

Stand: 06.11.2023 09:21 Uhr

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Mitteldeutscher Rundfunk
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