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Kindheitserinnerungen von Hark Bohm

Der gefeierte Spielfilm "Amrum" von Fatih Akin

Kurz vor Ende des 2. Weltkrieges. Auch über der Nordseeinsel ist der Krieg jetzt beängstigend nah, und Flüchtlinge kommen auf die Insel. Der Spielfilm "Amrum" erzählt die Geschichte eines Jungen, der all das miterlebt. Auf dem Filmfestival in Cannes wurde der Film bereits gefeiert. Jetzt hat er Deutschland-Premiere auf dem Filmfest Hamburg und kommt ab dem 9. Oktober ins Kino.

"Deine Mutter ist Nazi - was machst du?"

Flieger rauschen über die kleine Nordseeinsel und ein Kutscher bringt weitere Flüchtlinge auf die Insel: "Der Russe steht schon 50 Kilometer vor Berlin." "Na, dann ist wenigstens Hitler sein Scheißkrieg zu Ende", kommentiert eine Bäuerin. Während die Insulaner auf eine baldige Kapitulation hoffen, ist die Mutter von Nanning, der Junge im Zentrum dieser Geschichte, eine treue Hitler-Anhängerin: "Wer unseren Soldaten in den Rücken fällt, muss hart bestraft werden.“

Ein Mann mit halblangen schwarzen Haaren und grauer Trainingsjacke sitzt vor einem Fenster. Es ist der Regisseur Fatih Akin.
Mit "Amrum" hat Regisseur Fatih Akin einen weiteren hoch gelobten Film vorgelegt. | Bild: NDR

Regisseur Fatih Akin habe das Spannungsverhältnis zwischen Mutter und Sohn am meisten interessiert. "Was machst du, wenn deine Mutter Nazi ist? Sie ist deine Mutter, du liebst sie und sie liebt dich, aber sie ist Nazi. Das hat mich am meisten interessiert, weil ich das selbst kenne. Vielleicht mit anderen politischen Hintergründen, in einem anderen politischen Kontext, aber wenn man auf so ganz verschiedenen moralischen oder politischen Seiten steht, und dennoch mit dem Blut verwandt ist - wie geht man damit um?"

Nach den Kindheitserinnerungen von Hark Bohm

"Amrum" ist auch die Geschichte von Regisseur Hark Bohm. Der Spielfilm ist angelehnt an seine Kindheit. Bohm wollte einen Film zum Nationalsozialismus machen, aber das Projekt platzte. Akin fragte nach, warum Bohm einen Film über das Dritte Reich drehen wollte. "Darauf antwortete er: Meine Eltern waren Nazis, und mein Vater wurde verhaftet, vor meinen Augen, auf Amrum.'“, berichtet Akin. „Dann fing er an zu erzählen - eben die Geschichte des Films." Hark Bohm hat schließlich über die Kindheitsgeschichte einen Roman und - gemeinsam mit Akin - ein Drehbuch geschrieben. Die Regie für den Film konnte Bohm aber aus Altersgründen nicht selbst machen, deshalb fragte er Akin.

Ein alter Mann mit runder Brille und rotem Schal steht vor einem typisch norddeutschen Haus. Es ist Regisseur Hark Bohm.
In "Amrum" erzählt Hark Bohm seine eigene Geschichte - er hat mit Akin das Drehbuch geschrieben. | Bild: NDR

Im Mittelpunkt steht der junge Nanning. Seine Familie hat sich - wie die Familie Hark Bohms - aus dem bombardierten Hamburg nach Amrum gerettet. Nanning tut alles, um dazuzugehören, bleibt aber ein Außenseiter auf der Insel. Fatih Akin hat lange gezögert, die Regie zu übernehmen, weil ihm der Stoff zu fremd war. Dann hat Bohm ihn überzeugt - weil Akin wisse, was es bedeutet Außenseiter zu sein. "Ich war Außenseiter als Hamburger auf der Insel", habe Bohm gesagt, "und du weißt, was es bedeutet, ein Ausländer zu sein. Du weißt, was es bedeutet, von außerhalb gekommen zu sein."

Die Komplexität der Geschichte erzählt sich zwischen den Bildern

Nach Hitlers Tod will Nannings Mutter nichts mehr essen. Sie träumt ausschließlich von einem Stück Weißbrot mit Honig und Butter. Also tut Nanning alles, um ihr den Traum vom süßen Brot zu erfüllen, und fährt dafür sogar mit dem Fahrrad durchs Watt bis zur Nachbarinsel Föhr.

Ein blonder Junge schaut in die Kamera, eine Hand liegt auf seiner Schulter. Es ist ein Bild aus Fatih Akins Film "Amrum".
Im Film "Amrum" erzählt Fatih Akin eine Geschichte über Loyalität, Ideologie und das Erwachsenwerden in Zeiten des Umbruchs.

Der Film erzählt eine vermeintlich einfache Geschichte, doch es geht um viel mehr: um Identität und Ideologie, um den Zwiespalt zwischen Mutterliebe und der eigenen Sicht auf die Welt. "Es sind durchaus komplexe Dinge, wovon der Film erzählt. Die Mutter ist Nazi und der Junge ist auf dem Weg dahin. Seine Tante ist es aber nicht. Und wenn man so komplexe Figuren oder Figurengerüste hat, hilft es manchmal, das so einfach wie möglich, also mit einfachen Bildern zu erzählen."

Der Fremdenhass, der Menschen zerstört

Das gelingt Fatih Akin meisterhaft: Der Film hat wunderschöne Bilder und starke Schauspieler. "Amrum" erzählt auch, wie der Krieg bis in die Familien eindringt, wie der Fremdenhass Menschen zerstört. Im Kern gehe es darum, so Fatih Akin, "dass Menschen Menschen umgebracht haben. Ich bin ein Mensch, also geht mich das auch was an." Der Film "Amrum" rüttelt wach: Er erzählt von der Macht der Natur und vom Krieg, aber auch von Freundschaft und Liebe. Er ist ein Blick in die Abgründe deutscher Vergangenheit.

(Beitrag: Barbara Block)

Stand: 21.09.2025 19:16 Uhr

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Norddeutscher Rundfunk
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