So., 21.09.25 | 23:05 Uhr
Das Erste
Schmerz, Schönheit und Ironie
Die Bühnenspektakel der belgischen Künstlerin Miet Warlop
Sie ist es gewohnt, sich zu verausgaben. Wenn etwas nicht funktioniert, sagt sie: “Los, mehr Kraft! Das müssen wir schultern!” Miet Warlop, Künstlerin, Musikerin, Choreografin oder besser: Bühnenenergiebombe, ist bekannt für ihre anarchischen Spektakel, bei denen Sicherungskästen explodieren und Schaum die Bühne flutet. Ihre Arbeiten verschieben die Grenzen des Theaters und vereinen Elemente von Rockkonzerten, Tanz und Bildender Kunst.
Spektakuläre Bilder in "Inhale / Delirium / Exhale"
Auf Kampnagel, der Bühne für internationale Kunst in Hamburg, war Miet Warlops neueste Produktion zu sehen, mit der sie gerade durch Europa tourt: "Inhale / Delirium / Exhale" erzählt vom Chaos in unseren Köpfen. Sechs Performer*innen und wallender zwei Kilometer langer Seidenstoff erschaffen in ihrer neuen Performance spektakuläre Bilder. Es fängt erst ganz leise an, und dann bricht etwas aus: Ein Kampf, der kaum noch zur Ruhe kommt. "Unser Status als menschliche Wesen ist", so Warlop, "gerade geprägt von dem Gefühl, dass wir mehr und mehr verschwinden statt in Erscheinung zu treten."

Am Anfang stand für sie das Bild eines Schädels, durch den immer neue Gedanken zucken. Menschen versuchen Sinn herzustellen, bevor das Chaos wieder über uns herfällt, von innen und von außen. "Da ist etwas, das nicht wirklich weh tut, aber es ist groß, und es ist da - und du musst damit klar kommen", beschreibt Warlop das Übermächtige, das durch die Seide dargestellt wird. "Wer ist das, wer genau spricht da mit dir? Manchmal nicht mal in Worten." Wir tasten uns durch die Welt, durch unser Leben, durch uns selbst in immer neuen Verwandlungen und Befreiungsversuchen.
Miet Warlops erste Performance - eine Erinnerung an ihren verstorbenen Bruder
Miet Warlop war lange ein Geheimtipp. International bekannt wurde sie erst vor ein paar Jahren mit ihrer Performance "One Song". Eine Fankurve feuert die Performer an, die immer wieder denselben Song singen und spielen - bis zur völligen Erschöpfung. "Es war ein Requiem für meinen Bruder", erzählt Warlop, "vor zwanzig Jahren. Ich war gerade mit der Kunsthochschule fertig, war mitten im Machen, im Mich-Selbst-Finden - und da starb er. Meine Freunde brachten mich dazu, etwas zu schaffen, um an ihn zu erinnern." Aus einer ersten rohen, kurzen Performance formte sie Jahre später eine Choreographie des Schmerzes und des Weitermachens.

"Als wir dann anfingen mit dem neuen Stück", erinnert sich die Künstlerin, "waren alle gleich wieder so 'Okay! Ta-da-daaa! Ta-da-daaaa!' Aber ich sagte: 'Nein, nein! Nicht nochmal diese Energie, ich kann nicht. Jetzt, mit 47, versuche ich, mehr loszulassen und erstmal herauszufinden, worum es hier geht."
Das geheime Leben des scheinbar Unbelebten

In früheren Performances feierte sie den Slapstick, das Groteske. Miet Warlop stammt aus Belgien, der Heimat von Comics und Magritte. Kommt daher ihr abgründiger Humor? "Klar! Wir sind selbstironisch. In der Geschichte sind wir so oft überrannt worden, dass wir sagen: 'Ja, ich bin Belgier', und gleich danach: 'Was auch immer das heißt!'", lacht die Künstlerin. Es ist eine existentielle Kunst, die Miet Warlop macht. Gleichzeitig hat sie eine seltsam-schöne Leichtigkeit - und das macht sie so einzigartig.
(Beitrag: Lennart Herberhold)
Stand: 21.09.2025 19:22 Uhr
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