So., 04.05.25 | 23:05 Uhr
Das Erste
Kriegsende in Bardowick
Wie ein Dorf bei Lüneburg polnisch wurde
Wenn die Heimat plötzlich zum Sperrgebiet wird: Im Mai 1945 mussten die Bewohner von Bardowick auf Befehl der Alliierten ihr Dorf verlassen, um Platz für polnische Flüchtlinge zu machen. Diese lebten dort ein Jahr, versorgten sich selbst und verursachten teils Zerstörungen. Nach ihrer Rückkehr zeigten die Einheimischen jedoch Verständnis für das Verhalten der Zwischenbewohner - bis heute.
Millionen obdachlose Ausländer im Nachkriegsdeutschland

Es ist die Endphase des zweiten Weltkrieges: Deutschland liegt in Schutt und Asche. Oft wird dabei vergessen, dass auch Millionen von heimatlosen Ausländern ohne Dach waren. In den Gebieten der westlichen Alliierten gab es zum Beispiel rund 1,5 Millionen Polen: ehemalige Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene oder ehemalige KZ-Häftlinge, aber auch Flüchtlinge aus Polen. "Ein Teil der Polen wollte nicht eine Stunde unter sowjetischer Besatzung leben", sagt Jan Rydel, polnischer Historiker, "und ist Richtung Westen gezogen, verbunden mit einem Mangel an Lebensmitteln. Es gab auch eine bedrohliche Lage durch marodierende Soldaten. Es war eine insgesamt sehr gefährliche Situation."
Auf Befehl der Briten mussten sie gehen

So auch in und um Lüneburg. Nach der Befreiung durch die Briten und der Kapitulation der nationalsozialistischen Regierung herrschten chaotische Zustände. Ein paar Kilometer entfernt: Bardowick. Ein unversehrtes Dorf, das vom Gemüseanbau lebt. Zwei Wochen nach der Kapitulation kam der Schock, erinnert sich die 89-jährige Ursula Müller: "Einpacken. Zusammenpacken. Und mein Vater wollte es ja nicht glauben: Vom Sonnabendfrüh bis Sonntagmittag - das war die Zeit, mehr nicht." Es war ein Befehl der Briten. "Wir als Kinder haben das alles nicht so ernst genommen", erzählt Müller weiter. "Das war ein Ausflug in gewissem Sinne. Mit Pferd und Wagen, wir kamen einfach mit drauf, wo sie die Möbel mit raufgeladen haben."
Statt 2000 nun 5000 Menschen in Bardowick

Rund 2000 Bardowicker wurden monatelang zu Flüchtlingen. Ihr Dorf war für Deutsche gesperrt. Hier lebten jetzt heimatlose Polen - dicht gedrängt. Ursula Schwanitz-Roth vom Archiv Bardowick sagt: "Hier wird eine Gesamtzahl von 5000 genannt, und ich denke, es gab eine dichte Belegung. In einem Bauernhaus, wo früher eine Familie mit etwa acht Personen lebte, da lagen plötzlich 20." Es gibt nur noch wenige Zeitzeugen, Aufzeichnungen und Bildmaterial sind rar. Die Polen hatten eine eigene Verwaltung - mit Schule, Polizei und Dorfvorsteher. Die meisten waren durch das KZ Bergen-Belsen oder Zwangsarbeit gezeichnet. Krankheit, Armut, Enge - und wie überall nach dem Krieg: Kriminalität und Schwarzmarkthandel. Das betraf häufig Deutsche, die aus den zerbombten Städten kamen. Es ging um Essen, Baumaterialen und mehr. Ursula Müller erzählt: "Während der Polenzeit sind viele Hamburger gekommen und haben den Polen Wertgegenstände, Bilder und anderes, abgekauft."
Rückkehr in ein zerstörtes Zuhause

Erst nach 10 Monaten konnten die Polen in ihre Heimat zurück, und die Deutschen kamen wieder nach Bardowick. Sie fanden ein Zuhause vor, das gelitten hatte. Vieles war verloren. Die 89-jährige Helga Stein erinnert sich: "Bei uns im Haus war eigentlich nichts zerstört, aber oft war viel dahin, Möbel waren kaputtgemacht und verheizt worden. Das war wirklich sehr unterschiedlich." Einige Gebäude waren verbrannt - durch offenes Feuer in der Winterzeit. Die Bardowicker räumten auf, machten weiter - wohl ohne Ressentiments. "Wir haben uns alle nur gefreut, dass wir wieder zu Hause waren", so Helga Stein.
Ein kleiner Ort, eine wichtige Geschichte

28 Polen starben damals in Bardowick - seit einigen Jahren würdigt ein Grabstein sie. Es ist ein Zeichen der Versöhnung und gegen das Vergessen von Kriegsfolgen. Die wurden lange verdrängt - auf beiden Seiten. "Es gab Kreise, die sich daran erinnert haben", so der Historiker Jan Rydel, "ansonsten war das aber kein Wissen in den Schulbüchern oder so. Das hat sich erst in den 90ern geändert." Auch Helga Stein spricht inzwischen mit ihrer Tochter über jene Zeit, die auch nachfragt und interessiert ist. Für sie und ihre Generation sei das auch wichtig, habe sie gesagt und: "Wir wissen das alles gar nicht, wir müssen mehr darüber reden."
(Beitrag: Thorsten Mack)
Stand: 04.05.2025 19:54 Uhr
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