So., 04.05.25 | 23:05 Uhr
Das Erste
Frauen, die als Männer leben
Der Dokumentarfilm "WO/MEN" über die albanischen Burrneshas
In Albanien gibt es die Tradition der Burrneshas, Frauen, die als Männer leben, um die Familie zu unterstützen oder Zwangsehen zu entgehen. Der Dokumentarfilm "WO/MEN" von Kristine Nrecaj und Birthe Templin gibt intime Einblicke in die persönlichen Geschichten von sechs Burrneshas und beleuchtet tradierte Geschlechterrollen, die sich zum Teil bis heute gehalten haben. Kinostart: 15. Mai.
Freiheit gibt es nur als Mann

"Ich hing immer lieber mit Jungs als mit Mädchen ab. Frauen durften damals nicht mal Wasser holen. Diese Einschränkungen ertrug ich nicht", sagt Bedri. Sie ist eine Burrnesha, eine Schwurjungfrau. Das sind albanische Frauen, die ein Leben als Mann führen. Sie wurden von ihrer Familie dazu gedrängt, etwa weil es keinen Sohn gab, oder haben dieses Leben freiwillig gewählt, weil sie nur so den patriarchalen Strukturen entkommen konnten. "Das Besondere an diesen Frauen ist, dass sie sich in ihrem Leben und in ihrem Lebensweg so sehr treu geblieben sind", erklärt Regisseurin Birthe Templin. "Diesen Weg als Mann zu beschreiten war für einige, die einzige Möglichkeit, frei leben zu können und ihr Leben so zu gestalten, wie sie es selbst möchten." Die zweite der beiden Regisseurinnen von "WO/MEN" ist Kristine Nrecaj. Sie hat selbst albanische Wurzeln und ihre Großtante war Burrnesha. Daher kennt sie diese Tradition seit ihrer Kindheit - und auch die strengen Geschlechtergrenzen, die bis heute existieren.
Sie übernehmen für ihre Brüder

Bei Sanie hat die Familie entschieden, dass sie den Weg einer Burrnesha geht. Sie zeigt alte Fotos: "Hier bin ich mit meinen Eltern. Drei Jahre alt. Ich trage noch ein Kleid. Dann begann mein Vater, mich wie einen Jungen zu behandeln. Meine vier älteren Brüder waren gestorben." Auch bei Diana war der Tod des Bruders entscheidend für ihren Lebensweg. "Es scheint", sagt Diana, "als hätte Gott gewollt, dass ich auf die Welt komme, um meine Eltern glücklich zu machen, weil sie ihren Sohn verloren haben." Ihr Bruder sei vor ihr gestorben und das Versprechen, Burrnesha zu werden, habe sie gegeben, als sie geboren wurde, erzählt Diana: "Bei meiner Geburt schossen sie in die Luft, mit den Worten: ein Sohn ist geboren - ohne das Geschlecht zu kennen."
Das Wohl der Familie geht vor

Das Wichtigste sei für viele das Wohl der Familie zu erhalten, so Regisseurin Kristine Nrecaj. Oft sei es "eine Gesetzmäßigkeit in Albanien, dass man das eigene Glück aufgibt und sagt, wenn meine Eltern für mich entscheiden, dass ich die soziale Rolle des Mannes annehmen soll, um die Familie zu unterstützen, dann mache ich das." Dieses - manchmal aufgezwungene - Leben bot den Frauen aber Freiheit und Unabhängigkeit. Sie durften Berufe erlernen. Bedri ist Chauffeur geworden. "Das Auto ist mein Leben", sagt Bedri stolz, "meine Mutter, mein Vater. Es ist mein Herz, meine Seele, mein Sohn, meine Tochter - einfach mein Ein und Alles." Diana hat beim Zoll gearbeitet. "Wenn die Schiffe und Passagiere kamen, große Autos, kleine Autos - kontrollierte ich sie", erinnert sie sich. Freisein, dort hingehen, wo man sich wohl fühlt, all das dürfen Burrneshas - und sprechen heute offen über ihr Leben.
Burrneshas, die Liebe und die Kinder

Diana war Gast in einer TV-Show. Auf die Frage, ob sie jemals verliebt gewesen sei, antwortete sie in der Sendung: "Nur in die Natur." Auch sexuelles Verlangen verspüre sie keines, habe sie nie. "Du kannst mich küssen, wo immer du willst. Auf meine Wange, meine Stirn. Ich werde nichts spüren." Kristine Nrecaj gibt außerdem zu bedenken, dass es bei einigen Frauen vielleicht auch so gewesen sein könnte, "dass sie das Gefühl hatten, mit Männern nichts anfangen zu können, sich nicht vorstellen zu können, einen Mann zu heiraten. Burrnesha zu werden, war dann eine kleine Hintertür. Aber das wurde nie öffentlich kommuniziert." Die meisten Burrneshas bereuen ihren Weg nicht, bei Sanie ist es etwas anders. Heute ist sie froh, bei ihrer Schwester mit ihren Nichten und Neffen zu leben. "Um ehrlich zu sein", sagt Sanie, "war es nicht gut. Ich fühle etwas in mir und denke, wie es wohl wäre, wenn ich Kinder gehabt hätte?"
Geschlechtergerechtigkeit immer noch aktuell

Die Tradition der Burrneshas stirbt langsam aus, aber das Thema Geschlechtergerechtigkeit ist immer noch aktuell. Genau darauf will Kristine Nrecaj mit ihrem Dokumentarfilm "WO/MEN" hinweisen: "Für mich war es ganz wichtig, Bewusstsein zu schaffen, dass wir in einer Welt leben, in der nach wie vor das Weibliche dem Männlichen unterliegt, wo das Weibliche belächelt und das Männliche gelobt wird." Mit den Geschichten der Burrneshas wollten sie und Co-Regisseurin Birthe Templin auch erzählen, warum eine Frau so oft die soziale Rolle des Mannes übernehmen müsse, um respektiert zu werden. "Warum muss ich mich wie ein Mann in der Öffentlichkeit bewegen, um geschützt zu sein? Und wieviel Weiblichkeit gebe ich auf, um dem zu entsprechen, was die Gesellschaft von mir erwartet?", so Nrecaj. Heute gibt es nur noch wenige Burrneshas, auch in Albanien wird für Gleichberechtigung gekämpft. Der eindrucksvolle Film WO/MEN" stellt starke, unabhängige Frauen vor - und regt zum Nachdenken an über Rollenklischees.
(Beitrag: Barbara Block)
Stand: 04.05.2025 19:55 Uhr
Kommentare