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Wenn die Luft brennt

Diaty Diallos Roman über Jugendliche in einem Pariser Vorort

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Diaty Diallos Roman über Jugendliche in einem Pariser Vorort | Video verfügbar bis 20.08.2025 | Bild: WDR

Es waren aufwühlende, schockierende Bilder, die Anfang Juli aus Frankreich um die Welt gingen: Unruhen in den Vororten von Paris, junge Randalierer, brennende Autos, exzessive Polizeigewalt.

In einem Vorort von Paris lässt die junge Schriftstellerin Diaty Diallo ihren ersten Roman spielen. Im Zentrum steht eine Gruppe Jugendlicher mit arabischem und afrikanischem Hintergrund. Sie kennen sich seit ihrer Kindheit. Mitten in der öden Betonsiedlung haben sie über einem Parkhaus einen Platz gefunden, den sie "Pyramide" nennen. Hier treffen sie sich zum Chillen, feiern Partys, trinken, rauchen, hören Musik und tanzen.

Alltägliche Diskriminierung

Doch immer wieder werden sie von der Polizei schikaniert, misstrauisch beäugt und kontrolliert. "Das sind tägliche Demütigungen, dieses Überprüfen von Identität", sagt Diaty Diallo. "Die Jugendlichen merken ja selbst, dass sie bisweilen mehrmals am Tag von denselben Beamten kontrolliert werden. Man kennt sich. Es ist super demütigend, überprüft zu werden. Allein die Idee, Identitäten zu überprüfen, ist ein hyperschräges Konzept."

Die Jugendlichen nehmen es hin. Doch die Frustration steigt, bis einer von ihnen, Issa, sich mit der Polizei anlegt. Seine Freunde müssen ihn, blutig geschlagen, aus dem Revier abholen Und dann brennt die Luft. An einem heißen Juliabend kommt es zur Katastrophe. Samy, einer der Jungs, wird bei einer brutalen Polizeiaktion erschossen. Seine Freunde planen einen Aufstand und zünden die Pyramide an.

Die Gegenwart der Staatsgewalt

Diaty Diallo hat selbst ihre Kindheit und Jugend in der Banlieue von Paris verbracht. Sie kennt das Leben dort, weiß, wie es sich anfühlt, ständig verdächtigt zu werden und der Staatsgewalt ausgeliefert zu sein. "Ich wollte diese Realität abbilden, zeigen, wie solche regelmäßigen Eingriffe der Ordnungskräfte eine Art Harmonie der Jugend stören können. Wie sehr sie es erschweren, erwachsen zu werden, wie man kaum Selbstachtung oder Vorstellungen von der Zukunft entwickeln kann, wenn man dauernd daran gehindert wird, mit seinen Leuten zusammen zu sein."

In Frankreich erschien ihr Roman im Herbst 2022, ein dreiviertel Jahr vor den Unruhen in diesem Sommer. "Ich schreibe meine Fiktion aus der Realität heraus, aber unweigerlich passt es dann irgendwann, denn ich habe ja nicht aus dem Nichts heraus geschrieben", sagt sie. Heute liest sich das Buch wie eine Vorhersage der Proteste, die auf den Tod des 17-jährigen Nahel folgten. Der Junge war am 27. Juni bei einer Verkehrskontrolle von einem Polizisten erschossen worden. "Wir erleben in Frankreich in bestimmten Stadtvierteln seit rund 45 Jahren Polizeigewalt. Doch was jetzt passiert seit dem Tod des jungen Nahel, ist so schlimm, das ist noch nie dagewesen. Es gibt eine Spendensammlung, um einen Mörder zu schützen, von dem wir ausnahmsweise einmal Bilder haben. Wir sehen live eine Hinrichtung und die Franzosen spenden dafür 1,6 Millionen."

Diaty Diallos Roman ist ein Gegenentwurf zum Klischee der radikalisierten Vorstadtjugend. Mit ihrem dichten, pulsierenden Text macht sie die Bedrohung anschaulich, der die Jugendlichen Tag für Tag ausgesetzt sind. Sie holt die jungen Menschen aus der Anonymität, gibt ihnen ein Gesicht und eine Stimme. Und sie beschreibt Wege, die Gewalt zu überleben. "Es ist verhängnisvoll, was passiert. Jedes Mal sind wir betroffen. Ich spreche über Polizeigewalt, aber ich spreche auch darüber, wie man potenziell diese Gewalt überlebt."

Autorin des TV-Beitrags: Claudia Kuhland

Buchtipp

Diaty Diallo: Zwei Sekunden brennende Luft
Assoziation A 2023, Preis: 20 Euro

Die komplette Sendung steht am 20. August ab 20 Uhr zum Abruf in der Mediathek bereit.

Stand: 20.08.2023 18:01 Uhr

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