So., 17.08.25 | 23:35 Uhr
Das Erste
Die letzten Tage der Menschheit
Der Erste Weltkrieg. Nicht wie er normalerweise gezeigt wird. Die Front, Schützengräben, zerstörte Städte … Nicht das Offensichtliche erzählt Karl Kraus. Er gibt einen Einblick in jenes Getriebe, aus dem das Gift herausgewachsen ist, das den Krieg erst möglich gemacht hat.
Karl Kraus hat sein Stück als unaufführbar beschrieben

"Diese unheilige Allianz der Medien mit der Politik, wie das die Medien beinahe antreiben oder sich ergötzen daran", sagt Schauspieler Michael Maertens. "Viele Menschen hoffentlich werden sagen: 'Hat der das damals so geschrieben oder habt ihr das so ein bisschen umgeschrieben?' Wir sprechen nur Karl Kraus und das ist unfassbar modern, leider erschreckend, schockierend modern."
"Die letzten Tage der Menschheit" ist eine Collage: Briefe, Artikel, Ansprachen. Eine Explosion. In der Urfassung 220 Szenen. Mehr als 100 Orte. Als unaufführbar hat Kraus das Stück selbst einmal beschrieben. In Salzburg hat man es radikal reduziert. Und doch bleibt genügend Platz für leere Worthülsen. "Er war ein großer Feind der Phrase, der Vereinfachung von Sprache", sagt Dramaturgin Lena Wontorra. "Es geht ihm darum wie Sprache im Populismus simplifiziert wird."
Der Politiker ein armes Würstchen, die Kriegsreporterin kriegsbegeistert

"Die Kriegsbegeisterung entsteht dadurch, dass die Sprache vergiftet wird", sagt Schauspielerin Marie-Luise Stockinger. "Das ist eigentlich eines der Hauptthemen von Karl Kraus: wie schnell die Sprache in die Gesellschaft eindringt und wie Sachen verharmlost werden."
Die ursprünglich etwa 2000 Protagonisten wurden zu sieben verdichtet. Da ist zum Beispiel der Politiker. Öffentlich: phrasendreschender Staatsmann. Privat: armes Würstchen. Oder die Journalistin, nicht kriegsbegeistert, sondern kriegsbesessen. Angelehnt an die reale Kriegsreporterin Alice Schalek.
Sieben Jahre hat Kraus an dem Stück gearbeitet

"Die war eigentlich Reisejournalistin und war die erste Frau, die einen Presseausweis bekommen hat, mit dem sie die Fronten besuchen darf", sagt Stockinger. "Das wurde auf einmal ihr Steckenpferd, weil sie journalistische Erfolge gefeiert hat, weil sie das so eindrücklich, fast schon romantisch, für mich sogar erotisch aufgeladen schildert. Sie beschreibt ja das Kriegsgeschehen, was unvorstellbar brutal gewesen sein muss, als Theaterstück."
Sieben Jahre hat Karl Kraus an dem Stück gearbeitet, ab 1915. Es mehrfach umgeschrieben. In dieser Zeit wandelt er sich vom Kriegsbefürworter zum Kriegsgegner. Zeigt gnadenlos auf, wie sich dieses zivilisierte Europa auch in ein Schlachtfeld aus Worten verwandelt hat. Erschütternd und gleich voll bösem Witz.
Das Stück ist Tragödie und Groteske zugleich.

"Er spielt eine interessante Rolle: der Humor oder die Unterhaltung, weil Kraus mal unter anderem von Max Reinhardt gefragt wurde, ob man das Stück nicht in Salzburg aufführen könnte", sagt Maertens. "Und da hat er gesagt, er möchte nicht, dass man das aufführt. Das würde dann zu unterhaltsam werden. Und das rührt mich sehr, weil das Stück ist sehr unterhaltsam. Und bei aller Grausamkeit, bei aller Trauer und bei aller schockierender Realität hat es auch immer so eine Form von Absurdität."
"Die letzten Tage der Menschheit" ist Tragödie und Groteske zugleich. Diese Gratwanderung gelingt der Salzburger Inszenierung gekonnt. Am Anfang war das Wort. Am Ende steht die Phrase.
Autorin: Gabriele Pfaffenberger
Stand: 17.08.2025 20:52 Uhr
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