So., 17.08.25 | 23:35 Uhr
Das Erste
Giulio Cesare in Egitto
Erbarmen, gerechter Himmel, sonst sterbe ich … Kunst ist das Vermögen, Schmerz eine Form geben. Wir sind in einem geschützten Raum. Wir wissen um das Leid.
Cäsar und Cleopatra? Ohnmächtige Menschen in Not!

Am Anfang kein Händel. Sirenen! Laut, auch im Zuschauerraum. Die Bühne ein Bunker. Was folgt, ist eine dreistündige Versuchsanordung, ein soziales Experiment. Wie verhalten sich Menschen unter großem Druck? Wie bildet sich eine soziale Ordnung, wenn alles auf Null ist? Gibt es Werte, Rücksicht und Empathie. Gibt es Erbarmen?
Der russische Regie-Star Dmitri Tcherniakov setzt alle Hierarchien aus. Cäsar und Cleopatra sind hier ohnmächtige Menschen in Not. "Das hier ist keine Geschichtsstunde", sagt Tcherniakov. "Es geht nicht um Cäsar und Cleopatra. Hier kämpfen acht Menschen ums Überleben. Sie sind zusammengesperrt in einem Raum, ohne Fluchtmöglichkeit und in ständiger Lebensgefahr. Was macht das mit Menschen und was kommt dabei an die Oberfläche?"
"Händels Musik umarmt dich."

Der Countertenor Christophe Dumaux ist auch ein großartiger Schauspieler und spielt Cäsar verloren, als Held ohne Reich. Die Machtkämpfe, die weiterhin stattfinden, hier im Bunker sind sie völlig absurd.
Oper als Kunstorm ist eine Erfindung des Barock: zwischen abstrusen Bühnenhandlungen von den eigenen Gefühlen singen, das war neu und funktioniert bis heute. "Händels Musik fühlt sich für mich niemals an, als käme sie aus einer vergangenen Zeit", sagt Dirigentin Emmanuelle Haïm. "Sie greift nach dir und die Gefühle, die sie vermittelt, sind so direkt. Diese Musik umarmt dich regelrecht."
"Ich nehme eine schleichende Dehumanisierung wahr."

Düster und genau spielen die großartigen Sänger nach, was Gefangenschaft aus Menschen macht. Wie sie sich quälen und aneinander zugrunde gehen. Ohne Erbarmen. "Manchmal habe ich das Gefühl, Menschlichkeit zählt nicht mehr", sagt Tcherniakov. "Ich nehme eine schleichende Dehumanisierung wahr. Das ist unfassbar traurig, aber auch interessant. Was versteckt war, zeigt sich jetzt."

"Weinen ist alles was bleibt", singt Olga Kulchynska am Ende. Empathie. Erbarmen. Großmut. Keine Schwächen. Sie sind das Beste in uns. Könnten wir eigentlich mal leben.
Autorin: Angelika Kellhammer
Stand: 17.08.2025 20:56 Uhr
Kommentare