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Eine Suche nach palästinensischer Identität

Alena Jabarines Buch "Der letzte Himmel"

Alena Jabarines Buch "Der letzte Himmel" | Video verfügbar bis 11.05.2027 | Bild: hr

Die Menschen haben Angst

In Gaza spielt sich eine humanitäre Katastrophe ab, vor den Augen der Welt. Der Krieg, der mit dem Hamas-Angriff auf Israel begann, nimmt kein Ende. Seit Anfang März blockiert die israelische Regierung alle Hilfslieferungen. Die Lebensmittelvorräte sind aufgebraucht, Menschen suchen verzweifelt nach Essbarem.

„Ein UN-Sprecher hat gesagt, die Menschen, die in Gaza jetzt nicht getötet werden, werden verhungern. Man muss sich nur die Berichte der großen Menschenrechtsorganisationen durchlesen. Egal ob der israelischen, der internationalen, die Berichte der Vereinten Nationen, Ärzte ohne Grenzen. Es liegt alles da. Ich hätte nie gedacht, dass wir an so einen Punkt ankommen, an dem Völkerrecht mit Füßen getreten wird“, sagt Alena Jabarine.

Alena Jabarine ist Deutsch-Palästinenserin, lebt in Hamburg. Die Journalistin, die schon für die ARD gearbeitet hat, steht in Kontakt mit Familie und Freunden in Israel und im Westjordanland. Sie macht sich große Sorgen.

„Heute sagen meine Freundinnen im Westjordanland zu mir: ;Alena, wir glauben, dass das, was in Gaza geschieht, auch uns drohen wird'“, berichtet Alena Jabarine. „Keiner weiß, wie sich die Situation im Westjordanland weiterentwickeln wird, aber die Prognose ist sehr dunkel. Die Menschen haben Angst. Und deswegen war es für mich auf eine Art und Weise auch so besonders und wichtig, dass das, was ich erlebt habe und was ja eine Realität war, festzuhalten.“

Allgegenwärtigkeit des israelischen Militärs

Drei Jahre war sie im Westjordanland und hat über diese Zeit jetzt ein Buch geschrieben: „Der letzte Himmel“. Darin erzählt sie von Erlebnissen und Begegnungen zwischen Checkpoint und Schönheitssalon, und davon, was es heißt, als Palästinenserin im besetzten Gebiet zu leben.

In den Jahren 2020 bis 2022 lebte sie in Ramallah, dokumentierte ihren Alltag, postete Videos davon auf Social Media. Aus all dem entstand ihr Buch. Die Geschichten darin erzählen von Solidarität und Gemeinschaft, von jungen Menschen mit Träumen. Aber auch von struktureller Gewalt, von Repressionen, denen Palästinenser in den besetzten Gebieten ausgesetzt sind. Und von der Allgegenwärtigkeit des israelischen Militärs.

In Masafer Yatta dokumentiert sie, wie palästinensische Kinder auf ihrem Schulweg vor Siedler-Angriffen geschützt werden müssen. Dabei werden sie zuerst von israelischen Soldaten, dann von palästinensischen und jüdischen Aktivisten begleitet. 

„Das waren krasse Momente, einfach zu sehen, mit was für einer Selbstverständlichkeit palästinensische und jüdische Aktivist:innen zusammen morgens dasitzen und sagen, wir begleiten jetzt diese Kinder zur Schule. Und das zeigt wieder so deutlich, dass wenn es zwei Seiten gibt, dass diese Seite eben nicht... Israel versus Palästina oder Juden gegen Muslime, sondern es geht darum, es geht um Menschenrechte. Und diese jüdischen Aktivist:innen kommen extra, weil sie wissen, dass sie als eine Art menschliches Schutzschild fungieren. In ihrer Präsenz sind die Kinder sicherer, als wenn ausschließlich palästinensische Aktivist:innen da sind. Weil Palästinenser natürlich noch mal mehr den Siedlern und dem Militär ausgeliefert sind“, erzählt die Autorin.

Hebron: Eine Stadt mitten im Westjordanland

Alena Jabarine hat einen israelischen Pass und ein Auto mit israelischem Kennzeichen. So kann sie Grenzen und Checkpoints passieren, die vielen anderen Palästinensern versperrt bleiben. Auf ihren Autofahrten sieht sie, wie weit der völkerrechtswidrige israelische Siedlungsbau im Westjordanland schon vorangeschritten ist. Die Siedlungspolitik der israelischen Regierung wird international verurteilt, auch weil sie eine Zweistaatenlösung immer unwahrscheinlicher macht.

„Auf manchen Strecken sieht man viel mehr israelische Siedlungen als palästinensische Dörfer im palästinensischen Gebiet, was ja ein Teil eines zukünftigen palästinensischen Staates sein sollte. Aber wenn man dort unterwegs ist und wirklich sieht, wie wenig vom Land übrig ist, das ist erschreckend“, so Alena Jabarine. „Auch mit Blick auf die Frage, wie soll es denn weitergehen? Die Palästinenser:innen sind ja da, sie existieren ja, aber wo sollen sie hin? Wenn der Raum immer kleiner wird.“

Besonders deutlich wird das in Hebron. Eine Stadt mitten im Westjordanland, deren historische Altstadt aber von Israel kontrolliert wird. Hier treffen jüdische Siedler und Palästinenser direkt aufeinander.

„In Hebron leben die Siedler eben in der Stadt und dadurch gibt es ein massives Militäraufgebot. Und es gibt Straßen in Hebron, die dürfen Palästinenser:innen nicht betreten. Das heißt, man spaziert durch diese Stadt und dort stehen Soldaten und gucken: „Welche Papiere hast du?“ Wenn du einen palästinensischen Ausweis hast, darfst du auf dieser Straße nicht weiterlaufen. Es gibt andere Straßen, da wirst du gefragt: „Welche Religion hast du?“ Bist du ein Moslem, darfst du diese Straße nicht betreten“, erzählt Alena Jabarine weiter.

Denen eine Stimme geben, deren Hilferufe gerade verhallen

Alena Jabarine stellt in ihrem Buch palästinensische Perspektiven in den Vordergrund, die gerade in Deutschland oft unterrepräsentiert sind. Man kann ihr dafür Einseitigkeit vorwerfen, doch für sie war das eine bewusste Entscheidung.

 „Für mich war die größte Herausforderung beim Schreiben eben wegzukommen vom journalistischen Denken, und eben nicht zu sagen, ich muss jetzt hier ein Werk schaffen, das alle Perspektiven, was sowieso nicht möglich ist, abbildet. Es ist ein persönliches Buch, das ist das, was ich erlebt habe. Das sind die Erfahrungen, die ich gemacht habe während meines Lebens im Westjordanland“, sagt die Autorin.

Alena Jabarine bekommt Anfeindungen. Auch, weil sie mitunter deutliche Kritik am Vorgehen Israels in den besetzen Gebieten äußert. Und für manche, vor allem rechte Akteure, ist sie per se so etwas wie ein rotes Tuch.

„Ich weiß, dass wenn ich irgendwo eingeladen werde, dass E-Mails geschickt werden an die Veranstalter. Wie können sie diese, keine Ahnung, Antisemitin oder wie auch immer einladen. Das ist so normalisiert, dass es mich schon gar nicht mehr überrascht“, sagt Alena Jabarine. „Aber das ist die Realität, mit der ich zum Beispiel als Palästinenserin lebe. Dass ich weiß, dass egal was ich mache, egal was ich sage, es wird diese Form von Reaktionen geben. Und wenn ich damit nicht leben kann, dann muss ich aufhören zu sprechen. Aber das ist keine Alternative.“

Alena Jabarine will als Palästinenserin in Deutschland auch denen eine Stimme geben, deren Hilferufe gerade verhallen.


Beitrag: Carola Wittrock  

Alena Jabarine: „Der letzte Himmel“, Ullstein Buchverlage, 384 Seiten, 22,99 Euro, 2025.

Stand: 12.05.2025 07:57 Uhr

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