So., 25.05.25 | 23:35 Uhr
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Denis Scheck empfiehlt: "Getäuscht" von Juri Felsen

Immer wieder schreibt der Literaturbetrieb Geschichten über Schatzfunde, nicht minder erstaunlich, wie die Archäologie mit ihren Nachrichten von der Entdeckung neuer Pharaonengräber. So ein Sensationsfund ist der Roman "Getäuscht" des russischen Autors Juri Felsen. Ursprünglich erschien dieser 1930 in einem russischen Exilverlag in Paris. Zu seinen begeisterten Lesern zählte Vladimir Nabokov. Und doch geriet der Roman in Vergessenheit. Juri Felsen erzählt in "Getäuscht" von einer unerwiderten Liebe des namenlos bleibenden Ich-Erzählers zu der ebenso schönen wie unkonventionellen Emigranten Ljolja. Was aber macht Juri Felsens Roman heute zu einem literarischen Ereignis? Seine an Marcel Proust geschulte Prosa. Felsen legt das Seelenleben seines in Paris lebenden Exilanten unter das Vergrößerungsglas einer Sprache, die seine Gefühle und Gedanken noch bis in die letzten Ausfältelungen mit seelenzerfieselnder Präzision zu sezieren vermag. Er ist verliebt und verzweifelt, und analysiert sein inneres Chaos mit erbarmungsloser Klarsicht: "Das Ende der Verzweiflung wird kommen, in Form von Vergessen, Überdruss, einem Ersatz, meinetwegen auch dem Tod, einem dummen und bedauernswerten, aus Entkräftung. Vorerst treiben mich, ingrimmig und ichbezogen, immer noch dieselben Berechnungen von Ljoljas Gewogenheit um, wie es jetzt, genauestens und endgültig, darum steht." Der russische Jude Juri Felsen selbst fand einen dummen und bedauernswerten Tod 1943 in Auschwitz, zuvor hatte er versucht, vor den Nazis aus Frankreich in die Schweiz zu fliehen. Sein Roman "Getäuscht" lässt sich nun in einer glänzenden, die Sprachbewegungen von Felsens meisterhafter Prosa bis in die letzten Details nachbildenden neuen Übersetzung von Rosemarie Tietze wiederentdecken.
Stand: 23.05.2025 14:05 Uhr
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