So., 18.05.25 | 23:05 Uhr
Das Erste
"Alle lieben Touda"
Ein marokkanischer Film erzählt die Geschichte einer alleinerziehenden Frau
Touda ist Sängerin in der marokkanischen Provinz. Was man von ihr erwartet, sind traditionelle Lieder – aber Touda will in ihrer Musik von Emanzipation und Widerstand singen. Was sie aber erlebt, ist der Widerstand gegen sie selbst. Und Touda hat einen heranwachsenden Sohn zu versorgen, der gehörlos ist und dem sie trotzdem eine gute Bildung verschaffen will. Größer könnten die Probleme auf dem Weg zu ihrem Ziel nicht sein. Also beschließt Touda, mit ihrem Sohn in die Großstadt nach Casablanca zu gehen und dort ihr Glück zu versuchen. Der preisgekrönte marokkanisch-französische Regisseur Nabil Ayouch – zwei seiner Filme wurden als marokkanischer Beitrag zur Oscar-Verleihung ausgewählt, in Cannes erhielt Ayouch den Preis in der Reihe "Un Certain Regard" – hat diese Geschichte jetzt verfilmt. "ttt" traf Ayouch in Marokko und sprach mit ihm über seinen Film.
Ein Film vom Streben nach Glück

Eine ausgelassene Feier am Stadtrand. Touda singt "Aïtas", die Lieder der marokkanischen Frauen, die von Begehren handeln, von verbotener Liebe. In der Nacht läuft die Party aus dem Ruder. Touda wird von einem der Männer vergewaltigt. Sie nimmt es hin. Für Drama ist im Leben einer alleinerziehenden Mutter kein Raum. Zu Hause wartet ihr kleiner Sohn Yassine. Er ist gehörlos. Der kleine Yassine ist auf ihre Fürsorge seiner Mutter angewiesen. Durchhänger kann Touda sich nicht erlauben. Am gleichen Abend ist sie schon wieder unterwegs, bespaßt für Geld eine Hochzeitsgesellschaft. "Ich wollte eine Figur schaffen, die keine andere Wahl hat, als sich immer wieder aufzurichten und einfach weiterzumachen. Touda stellt einen Typ Frau dar, der mich als Filmemacher stark inspiriert hat, nämlich Frauen, die keine Opfer sind, sondern die sich wehren und für ihre Rechte kämpfen in einer Gesellschaft, die ihnen kein Gehör schenkt und sie nicht akzeptiert", so der Regisseur Nabil Ayouch.
Die Liebe zu ihrem Sohn ist Toudas Antrieb

Für ihren Sohn legt sich Touda mit der Schulleitung an. Und wenn sie in schmuddeligen Amüsierclubs, wo der Alkohol in Strömen fließt, mit Männern trinkt und sich von ihnen begrapschen lässt, tut sie es für ihren Sohn. "Die Behinderung ihres Sohns ist für sie keine Belastung. Im Gegenteil: Sie schöpft daraus Kraft. Die Liebe zu ihrem Sohn ist der Motor, der sie antreibt, ihre Stütze und Energie. Diese Liebe hilft ihr, alle äußeren Hindernisse zu überwinden", erzählt Ayouch.
Ayouchs Filme handeln von Frauen am Rande der Gesellschaft

Immer wieder hat der Regisseur Nabil Ayouch Filme über Frauen am Rande der Gesellschaft gemacht. In dem preisgekrönten Film "Much Loved" waren es Prostituierte, der Film wurde in Marokko verboten. In "Alle lieben Touda" ist es eine alleinerziehende Mutter. "Ich bin selbst mit einer alleinerziehenden Mutter aufgewachsen. Sie hat uns mit harter Hand erzogen, ist frühmorgens zur Arbeit gegangen, hat sich tapfer durchs Leben geschlagen. Sie hat mein weibliches Idealbild geprägt", so der Regisseur.
Touda träumt von einer besseren Zukunft

Touda träumt vom sozialen Aufstieg, von einer Zukunft für sich und ihren Sohn. Sie möchte eine respektierte Sängerin werden, nach dem Vorbild der traditionellen "Sheikhas", die poetische Lieder vortrugen über Schmerz und weibliche Rebellion, die "Aïtas". Doch der Weg zu einer modernen "Sheikha" ist hart. Noch tritt sie in der Provinz auf und singt Schlager. Touda begreift: Die Zukunft liegt woanders. Nur in der Großstadt Casablanca kann sich ihr Traum erfüllen. Touda bringt ihren Sohn zu den Großeltern aufs Land, sucht ihr Glück in der Metropole. Doch dort hat niemand auf sie gewartet. Das Hotelzimmer ist so schäbig wie alle billigen Hotelzimmer der Welt. Und in den Amüsierclubs interessiert sich kein Mensch für die altmodischen "Aïtas". Anders als der Titel "Alle lieben Touda" suggeriert, gerät ihr erster Auftritt zum Desaster.
In Cannes feierte der Film Weltpremiere

Letztes Jahr, beim Festival in Cannes, feierte der Film seine Weltpremiere. Die marokkanischen Filmbehörden schickten ihn für den Oscar ins Rennen. In seinem Heimatland gilt Nabil Ayouch als feministischer Regisseur, der wie kein anderer weibliche Außenseiter feiert. "Der Feminismus gehört nicht nur den Frauen. Er gehört auch all denjenigen, die irgendwo auf der Welt in prekären Verhältnissen leben. Da kann das Kino ein Vehikel sein, das alle Menschen zusammenbringt, die die gleichen Leiden verspüren", sagt Nabil Ayouch. Der Film ist beides gleichzeitig: knallhart und voller Zärtlichkeit. Er erzählt vom Streben nach Glück, auch wenn es unmöglich scheint.
Autorin: Hilka Sinning
Stand: 19.05.2025 16:15 Uhr
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