So., 18.05.25 | 23:05 Uhr
Das Erste
"Stresstest"
Der deutsche Pavillon in Venedig wird zum Versuchslabor für die überhitzten Städte der Zukunft
Stadtplanung ist eine langfristige Sache. Die Großstädte, in denen wir leben, wurden geplant, als von Klimaerwärmung noch keine Rede war. Nach dem Krieg wurde in die Höhe gebaut und man dachte in Beton. Aber dass Städte auch atmen müssen, damit die Menschen, die darin leben, noch atmen können, daran dachte man nicht. Der Gedanke, dass Städte ertüchtigt werden müssen, damit sie ihr eigenes Klima erzeugen können, das das Leben für die Menschen darin erträglich macht, kam erst in den letzten Jahren auf, als die Folgen des Klimawandels immer deutlicher und drastischer wurden.
Das Programm im deutschen Pavillon in Venedig nennt sich dieses Jahr "Stresstest" und simuliert für die Besucher die Folgen des Klimawandels in unseren Städten der Zukunft. Aber auch Auswege werden gezeigt: "Destress". "ttt" hat sich dem Pavillon ausgesetzt und mit Künstlern und Kuratorinnen gesprochen.
Venedig im "Stresstest" der Zukunft

Die Sonne, nach der wir uns sehnen, wenn das Frühjahr auf sich warten lässt. Die vom Freund zum Feind wird, wenn im Sommer Hitze auf unsere Städte drückt … und der blaue Planet seine Farbe wechselt. Wir nennen es "Klimakrise". Europa ist der Kontinent, der sich am schnellsten erwärmt. Venedig ist vertraut mit der Apokalypse: Hochwasser, Massentourismus. Jetzt macht der Deutsche Pavillon bei der Architekturbiennale den "Stresstest" zur Hitze über der Stadt. "Es geht ja um die Erhitzung der Städte und um die Kühlung der Städte. Und der Wind ist ein Mittel natürlich, um die Städte auch zu kühlen. Gleichzeitig ist er aber sehr ambivalent. Es gibt den mäßigenden Wind, das sieht man hier, und es gibt den Sturm. Den wird’s hier auch geben während der Biennale-Laufzeit – dann wird es sehr krass hier oben ausschauen. Und es gibt die Flaute. Dann hängt das alles runter und dann wird’s halt brütend heiß", erklärt Künstler Christoph Brech.
Das Herz der Ausstellung

Das heiße Herz der Ausstellung: Ein Multimedia-Theater mit Rundum-Projektion. Ansturm der Bilder. Denkanstöße. Daneben der künstlich überhitzte, durch Stahlplatten verengte Stress-Raum. Hitze staut sich – wie in den Straßenschluchten der Städte. Bilder einer Wärmekamera: Man betrachtet sich selbst, wie man aufheizt – besonders im Kopf. Die Installation des Künstlerduos Rasthofer / Neumaier macht die Besucher zu Protagonisten: Hitzestress hautnah. "Wenn die Menschen diese eigene Erfahrung machen können in solchen Ausstellungen, dass sie sich nicht nur als dritte Person sehen, sondern wirklich als erste, die hier agieren: Das machen diese Bilder – diese Kamera nimmt die Distanz", so das Künstlerduo.Der Klimawandel als körperlich-sinnliche Erfahrung.
Städte zwischen Hitze und Versiegelung

An die alarmierenden Nachrichten haben wir uns gewöhnt: Immer mehr Hitzetage, Hitzekranke, Hitzetote. Brände, die auch Städte bedrohen. Extremwetter-Ereignisse. Sicher ist: Die Zukunft wird noch deutlich ungemütlicher. Jetzt rächt sich, dass Architekten und Stadtplaner jahrzehntelang nur in Beton dachten und die Flächen zwischen Gebäuden versiegelten. Flirrende Hitze und Killer-Mücken über der Stadt. Selbst relativ grüne Städte wie Berlin erleben tropische Temperaturen. "Natürlich spielt Architektur eine ganz große Rolle. Wir versiegeln immer weiter. In Deutschland werden nach wie vor 56 Hektar am Tag in Bauland umgewandelt, davon die Hälfte versiegelt – das sind 80 Fußballfelder", erklärt Nicola Borgmann, Kuratorin.
Abkühlung im De-Stress-Raum

Im buchenbestandenen De-Stress-Raum zeigt die Ausstellung, wie es anders ginge. Aufatmen. Durchatmen. Kühler Kopf. Es geht doch: Begrünte Wohnkomplexe wie Mailands Bosco Verticale. Sommerliche Passanten-Bestäubung, hier in Zürich. Wasserflächen in der Stadt – nicht nur in Hafen-Cities. Bewässerung, Beschattung, Böden wieder öffnen – all das kann unsere Städte resilienter machen und uns vor der Hitze retten: Alles machbar, aber fahrlässig immer weiter aufgeschoben. "Wir haben immer noch falsche Filterkriterien, was wichtig ist. Da ist das Geld erstmal ganz wichtig, obwohl das ja eine Milchmädchenrechnung ist. Also volkswirtschaftlich kostet uns das ja jetzt schon seit vielen Jahren viel Geld, diese ganzen Überschwemmungen, etcetera. Also, der private Investor spart, baut, versiegelt alles – ja, und die Gemeinschaft muss es dann bezahlen", so Gabriele G. Kiefer, Kuratorin.
Der kritische Moment ist jetzt

Die Ausstellung zeigt in drastischen Projektionen, was uns blüht, wenn wir so weiter machen wie bisher – und vertraut dabei ganz auf die Kraft der Bilder, des sinnlichen Erlebens. Zu erfahren ist aber auch, wie wir es in Berlin, München, Mailand und Athen wieder kühler haben könnten – nur im Sommer natürlich! "Wir zeigen einfach diese Vielfalt, die es gibt und dass es eigentlich ganz leicht ist. Leicht! Aber man muss im Kopf … Der Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung wechseln kann. Ich glaube daran, dass Menschen das schaffen können", erzählt Gabriele G. Kiefer. Der zarte Optimismus tut gut zu einer Zeit, in der die Vernunft es nicht leicht hat und der Klimaschutz wieder eher als Luxusproblem gilt. Doch die Zeit zu handeln – das vermittelt dieser "Stresstest" in Venedig – der kritische Moment ist jetzt.
Autor: Andreas Lueg
Stand: 18.05.2025 21:37 Uhr
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