Anne Schäfer als Fina Valent

Kommissarin Fina Valent (Anne Schäfer) kann keine Selbstjustiz zulassen.
Kommissarin Fina Valent kann keine Selbstjustiz zulassen. | Bild: ARD Degeto / Lucia Faraig

Frau Schäfer, die Geschehnisse in „Totgeschwiegen“ spielen vor dem Hintergrund eines sehr dunklen Kapitels der spanischen Geschichte, der Zwangsadoption von Babys während der Franco-Diktatur. Wie intensiv haben Sie sich im Vorfeld und während der Dreharbeiten mit diesem Thema auseinandergesetzt?

Zwangsadoption ist kein rein spanisches Thema. Das findet sich in allen Diktaturen wieder. In Deutschland, dem Nationalsozialismus und auch in der DDR wurden Regimegegnern die Kinder gestohlen. Auch Amerika, Kanada, Australien und die Schweiz haben bestimmten Bevölkerungsgruppen oft aus rassistischen Gründen die Kinder gestohlen. Diese Praxis reicht in den meisten Staaten bis in die 80 er Jahre hinein. Was in Spanien allerdings zu erwähnen bleibt ist die Zahl, von 300.000 gestohlenen Kindern. Die meisten Fälle konnten nicht aufgeklärt werden. Ich kenne eine Frau in Deutschland, die nach über 40 Jahren herausgefunden hat, dass ihr Sohn noch lebt. Diese Geschichte hat mich sehr berührt. Für den „Barcelona-Krimi“ habe ich mich mit der Franco Zeit auseinandergesetzt, mir verschiedene Dokumentationen angesehen, Artikel darüber gelesen… Ich bereite mich gerne intensiv vor.

Fina und ihr Vorgesetzter Miguel haben eine besondere Begegnung, die für einen kleinen Moment Leichtigkeit in ihr Leben zu bringen scheint. Genießt Fina ihr Leben abseits des Jobs zu wenig?

Fina war alleinerziehende Mutter in einem Vollzeitjob. Das schafft man nur wenn man funktioniert, gut organisiert ist und seine persönlichen Bedürfnisse hintenanstellt. In den letzten 20 Jahren hatte „das Leben genießen“ für Fina keine Priorität. Jetzt ist Finas Tochter ausgezogen. Plötzlich ist da Zeit, die es vorher nicht gab. Fina entdeckt sich als Frau gerade wieder neu. Es ist mir wichtig, das Fina nicht in Stereotype gepresst wird. Unsere Medienlandschaft ist voll von stereotypen Darstellungen von Frauen jenseits der 40.

Mit Xavi versteht Fina sich fast ohne Worte. Was ist das Besondere an der Beziehung der beiden?

Genau das. Xavi und Fina sind gute Ermittler, trotzdem haben Sie Geheimnisse, auch voreinander. Beide respektieren das. Sie haben einen eigenen Humor, und vieles findet zwischen den Beiden im Ungesagten statt. Clemens und ich haben dafür gekämpft auch hier einen eigenen Weg zu gehen. Grade weil Clemens und ich privat sehr gut befreundet sind, wollen wir das nicht mit der Figurenbeziehung vermischen.

In den beiden aktuellen „Barcelona-Krimis“ begegnen uns viele starke Frauenfiguren. Was macht diese Frauen so besonders, und wie haben Sie die Zusammenarbeit mit den Kolleginnen erlebt?

Diese Frage zeigt, dass es sonst meistens anders war und ist. Ich wünsche mir das „viele starke Frauenfiguren“ keine Ausnahme mehr sind und mehr Geschichten erzählt werden, in denen es um die größte Bevölkerungsgruppe Deutschlands geht, Frauen über 40 mit all ihren Facetten, Problemen, Leidenschaften und Lebensrealitäten. Bibiana Beglau, Sylvana Krappatsch, Andrea Eckert, Barbara Schnitzler, Brigitte Karner, Doris Plenert, Elisabeth Clarke Hasters, um Mal nur die Frauen aus „Totgeschwiegen“ zu nennen. Unsere Casterin Suse Marquart hat tolle Arbeit geleistet, bis in die kleinste Rolle starke Kolleg:innen angefragt und auch bekommen. Viele kommen wie Clemens und ich auch vom Theater. Es war z.B. immer ein Traum von mir, mit Bibiana Beglau und Silvana Krappatsch zu spielen. Beide waren am Schauspielhaus Zürich engagiert, als ich dort an der Hochschule meine Schauspielausbildung gemacht habe. Ich habe alle ihre Vorstellungen gesehen. Ich wünsche mir all diesen Kolleg:innen noch in vielen anderen Projekten wieder zu begegnen.

Fina bekommt in der Folge „Totgeschwiegen“ spontan Besuch von ihrer Mutter, was sie emotional zu überfordern scheint. Wie lässt sich das Verhältnis der beiden Frauen beschreiben? Wie wichtig ist Fina die Beziehung zu ihren Eltern? Können Sie Ihre Haltung persönlich nachvollziehen?

An Mutter-Tochter-Geschichten interessiert mich das Unausgesprochene. Das Spannungsfeld zwischen Liebe und Verletzung. Meine Kollegin Andrea Eckert und ich haben uns eine genaue Mutter-Tochter-Biografie überlegt, wir sind in unseren Überlegungen bis in die Jugend der Mutter zurückgegangen, um daraus zu entwickeln, wie wir diese Beziehung spielen wollen. Es war toll eine Kollegin zu haben, die sich genau wie ich tief in ihre Rollen reingräbt.

„Manchmal frage ich mich wirklich, ob wir verwandt sind“: Finas Worte klingen nach einer schwierigen Mutter-Tochter-Beziehung. Was wirft Fina ihrer Mutter vor? Was vermisst sie am meisten in ihrer Beziehung? Welche Parallelen findet sie in der Beziehung zu ihrer eigenen Tochter?

Das ist in der Kürze schwierig zu beantworten. Ich würde nicht mal sagen, dass Fina ihrer Mutter wirklich etwas vorwirft. Fina begreift, dass ihre Mutter ein Produkt ihrer Zeit ist, eine abhängige, in patriarchalen Strukturen sozialisierte Frau, die nie gelernt hat, ihre Bedürfnisse zu artikulieren. Finas Mutter hat ihr Leben als Accessoire an der Seite eines reichen Juristen verbracht, ohne gesehen zu werden, und ihre Probleme weggelächelt. Fina kann das nicht nachvollziehen. Fina wird mit Anfang zwanzig schwanger, mitten im Studium … Sie hat sich für ihr Kind und gegen ihre Familie und die damit verbunden Privilegien entschieden. Sie hat ihr Jura-Studium abgebrochen, den vorgezeichneten Weg in die erfolgreiche Kanzlei ihres Vaters verlassen, Freunde verloren und ohne Unterstützung der Eltern und ohne Kindsvater ihre Tochter großgezogen. Fina hätte sich ein klares Statement ihrer Mutter gewünscht, gleichzeitig weiß sie, dass ihre Mutter dazu damals nicht in der Lage war. Fina erträgt es nicht, dass ihre Mutter sich nur mit Oberflächlichkeiten beschäftigt. Gleichzeitig ist Fina nicht in der Lage, selbst in den Dialog zu gehen. Liebe und Sprachlosigkeit.

„Der Barcelona-Krimi“ umfasst mittlerweile acht Filme. Wie hat sich Fina in der Zwischenzeit entwickelt? Und wie nah ist Ihre Filmfigur Ihnen inzwischen?

Fina ist eine Rolle, natürlich versuche ich Themen, die mich bewegen, oder die ich relevant finde, in diese Figur und ihre Entwicklung zu integrieren. Das ist das Schöne an einer Reihe, dass man die Figuren über Jahre weiterentwickeln kann. In mein Privatleben lasse ich meine Rollen aber nicht hinein, im Gegenteil. Ich mag es auch nicht, als Privatperson in der Öffentlichkeit zu stehen. Ich brauche eine Rolle oder ein Anliegen, das ich vertrete.

Spektakuläre, bisher unbekannte Drehorte wie die Stierkampfarena oder den Urnenfriedhof gibt es auch in den beiden neuen Filmen zu entdecken. Hat die Stadt sich Ihnen diesmal von einer anderen Seite gezeigt – oder war Sie Ihnen wieder von Anfang an vertraut?

Wenn man in einer Stadt länger dreht, lernt man sie immer wieder neu kennen. Ich liebe den Perspektiv Wechsel, das Verlassen der ausgetretenen Pfade. Nachdem wir in der Pandemie eher an abgelegenen Orten drehen mussten, war es wahnsinnig schön wieder mitten in der Stadt zu drehen. Ich bin sehr viel mit dem Fahrrad zum Set gefahren. Und privat, nach 3 Jahren endlich mal wieder ausgegangen, in nem Club die Nacht durchtanzen, herrlich.

Wie wichtig sind historische und gesellschaftspolitische Bezüge im „BarcelonaKrimi“? Welche Themen beschäftigen die Menschen in der katalanischen Metropole?

Barcelona ist eine europäische Großstadt mit allen Facetten. Die Stadt als reine Kulisse zu benutzen wäre verschenkt. Natürlich schauen wir hin und versuchen unseren Fokus auch auf historische und gesellschaftspolitische Themen zu richten. Für die nächsten Krimis nehmen Wir u.a ein Thema auf, das uns während der diesjährigen Dreharbeiten stark beschäftigt hat. Nur möchte ich das noch nicht verraten.

Die beiden aktuellen Filme wurden von Regisseur Andreas Herzog inszeniert. Was macht seinen Blick auf die Geschichte aus? Wie gestaltete sich die Zusammenarbeit?

Ich habe mehrmals mit Andreas Herzog gearbeitet, zuletzt in der ARD Degeto Produktion „Die Toten von Marnow“. Andreas ist zuallererst ein toller Mensch, als Regisseur schätze ich seine unglaubliche Professionalität, nicht nur handwerklich, sondern auch im Umgang mit dem Team. Andreas wertschätzt jeden Menschen und seine Arbeit am Set. Dramaturgisch hat Andreas entscheidend zu den Büchern beigetragen und eine sehr gute Regiefassung erarbeitet. Er hat die Geschichten durch seine detailreiche Sicht und die gute Zusammenarbeit mit dem Kameramann Ralf Noack lebendig gemacht. Die Bildgestaltung der Filme ist genauso unterschiedlich wie die Thematiken. Gemeinsam haben die beiden einen Raum geschaffen, indem man konzentriert und professionell arbeitet und jeden, wirklich jeden Tag gerne seine Lebenszeit verbringt. Last but not least sind dabei hoffentlich zwei gute Filme entstanden.