Gespräch mit Christian Schumann, Gastdirigent der NDR Radiophilharmonie

Falke (Wotan Wilke Möhring) in den Norderneyer Dünen.
Auch Falke wird nun einiges klar und läuft in die Norderneyer Dünen, um Imke zu helfen.

Wenn die Filmbilder über die Nordsee und die Insel Norderney schweifen, drängt die Musik selbstbewusst in den Vordergrund. Spielt sie in diesem "Tatort" eine Hauptrolle?

Die Frage, welche Rolle die Musik spielt, wird im Filmmusik-Universum ganz unterschiedlich angegangen. Es gibt Komponisten, die hauptsächlich flächig mit minimalistischen Klangatmosphären arbeiten. Zu einem wichtigen Vertreter dieser Gruppe gehört zum Beispiel Hans Zimmer, bei dem schon mal ein einziger Cello-Ton über mehrere Filmminuten langsam und qualvoll aufsteigen kann. Die andere Gruppe arbeitet thematisch und teils unglaublich virtuos mit musikalischen Leitmotiven. Das Paradebeispiel ist John Williams, der die Musik zu dutzenden weltbekannten Kinofilmen wie "Stars Wars", "Indiana Jones" oder "Saving Private Ryan" geschrieben hat. Seine Kompositionen sind den Themen einer VerdiOper sehr ähnlich. Jeder kennt sie, jeder kann sie mitsingen. In unserem Film betreiben die beiden Komponisten Stefan Will und Peter Hinderthür ein Wechselspiel zwischen diesen beiden Ebenen, was in der Filmmusik nicht oft passiert. Mal untermalen sie das Visuelle, ganz flächig, ohne es zu überladen, mal scheinen musikalische Motive und Entwicklungen auf. Das alles ist sehr gut durchdacht.

Haben Sie als Dirigent mit den Komponisten zusammengearbeitet?

Die beiden Komponisten waren während der Aufnahmen dabei, was sich als sehr wertvoll erwies. So konnten wir stets Rücksprache halten: hier bitte einen härteten Schlägel, dort ein gleichmäßiges Glissando! Als Dirigent mache ich den Komponisten auch gerne Vorschläge. Diesmal konnte ich mich im Aufnahmesaal einfach umdrehen und fragen: Sollen wir es hier einmal so oder so probieren? Wäre es nicht besser, wenn der Ton an dieser Stelle schnell leise wird, statt langsam abzuflachen? Wir haben experimentiert, das eine oder andere Perkussionsinstrument nicht mit einem Schlägel, sondern mit dem Kontrabassbogen zu spielen, was einen fast synthetischen, abstrakten Klang hervorbringt. Man möchte das künstlerische Niveau so hoch wie möglich ansetzen, und dies passiert nur im kreativen Dialog. Das Orchester hat voll mitgezogen, weil die Musiker gemerkt haben: Es macht einen großen Unterschied, wie man diese einfachen musikalischen Mittel einsetzt. Auch war es für mich wichtig, eng mit dem Regisseur zusammenzuarbeiten: Wenn ich die Bilder vorher nicht gesehen habe und ganz auf eigene Faust losgezogen wäre, dann hätte alles schnell in eine falsche Richtung losgehen können, weil mir die Ideen nur so überquellen, die nicht notwendigerweise mit dem künstlerischen Konzept übereinstimmen müssen.

Die Nordsee ist tief, sehr tief. Jedenfalls klingt sie so. Wie viel Bässe haben Sie aufgeboten?

Wir hatten vier Bässe auf der Bühne und ein sehr gutes Tonmeisterteam im Hintergrund, mit dem wir im Vorfeld eine Reihe von klangästhetischen Fragen klären konnten, denn es gibt Mikrofone mit ganz unterschiedlichen Charakteristiken, die entweder direkt am Instrument angebracht werden oder in einem gewissen Abstand. Dazu kommt die Frage der finalen Abmischung. Die Komponisten wollten bewusst diese Tiefe erkunden. Neben den Kontrabässen, der Bassklarinette und dem Kontrafagott spielen auch die Celli in den tiefsten Lagen.

Haben die Komponisten eine norddeutsche Sinfonie geschrieben?

Für mich ist die wichtigste Charakteristik dieser Musik: Sie ist für einen deutschen Film komponiert worden. Es ist eine Frage des geistigen Hintergrunds. Heute sind alle Komponisten künstlerisch breit aufgestellt. Sie haben Kenntnisse über sämtliche musikalischen Stile, die es auf dieser Welt gibt. Sie sind vertraut mit dem amerikanischen Kino, das die Zuschauer auch musikalisch überwältigen will, und mit den dunklen skandinavischen Dramen und Thrillern, die in erster Linie mit elektronischem Sound untermalt sind. In diesem Fall haben die Komponisten eine Musik geschrieben, die zur Grundästhetik des "Tatort", der ältesten deutschen Krimireihe, einfach perfekt passt. Ob sie später daraus noch eine autarke Sinfonie schaffen werden, wer weiß – eine spannende Aufgabe wäre es in jedem Fall.

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