Interview mit Almila Bagriacik

Almila Bagriacik ist Kommissarin Mila Sahin
Almila Bagriacik ist Kommissarin Mila Sahin | Bild: NDR / Christine Schroeder

Haben Sie von der Incel-Subkultur gewusst, bevor Sie den "Tatort" gedreht haben?

Nach den Anschlägen in Halle und Hanau habe ich mich intensiver mit diesem Thema beschäftigt. Auf der Berlinale 2020 habe ich gemeinsam mit Kollegen mit einer Roten Teppich-Aktion versucht, darauf aufmerksam zu machen, damit diese Gefahr nicht ignoriert wird und wir uns damit auseinandersetzen. Dass wir die IncelBewegung im "Tatort" aufgreifen und die Kommissare sich ganz klar zu dieser Thematik positionieren, finde ich extrem wichtig. Wir erreichen mit dem "Tatort" mehrere Millionen Menschen und haben die Möglichkeit, ein Bewusstsein dafür zu schaffen.

Was ging in Ihnen vor, als Sie das Drehbuch gelesen haben? Hat Sie die Wut gepackt?

Es war für mich beeindruckend zu lesen, wie elegant und spannend diese Thematik behandelt wird. Auch wenn das Hauptaugenmerk auf dem Frauenhass liegt, wird die machtausübende Frau ebenfalls kritisch gezeichnet. Dieser Film zeigt die Einsamkeit, den Menschenhass, den Drang nach Macht und Identität in unserer Gesellschaft. Wichtig ist, dass wir das aufarbeiten, um eine Rückentwicklung zu vermeiden. Über den Frauenhass in den Internetforen war ich nicht überrascht, da dieses Thema nicht erst seit gestern existiert, mich interessiert aber vielmehr die Ursache und wie man diesen Hass bekämpfen kann.

Kommissarin Mila Sahin wird im Film vom Verdächtigen beschimpft und vom Staatsschützer mit "Liebste" angeredet. Zeigt der Film, welchen Anfeindungen Frauen im Alltag ausgesetzt sind?

Auf jeden Fall wird die Anfeindung der Frau im Alltag erkennbar, und Mila Sahins souveräner Umgang damit zeigt, dass dies keine Seltenheit ist. Das Besondere aber ist, dass nicht nur die eine Seite ausgeleuchtet wird, sondern Mario Lohse, der Verdächtigte, ebenfalls einer solchen Gewalt ausgesetzt ist, zum Beispiel durch seine Chefin. Dadurch wird für mich klar, dass einfach dieser Frust weitergegeben wird. Und auch wenn die Konsequenzen vielleicht hart sind, würde ich mir wünschen, wir würden die Ursache genauer betrachten.

Die Zuschauerinnen und Zuschauer haben Mila Sahin als selbstbewusste und zielstrebige Kommissarin kennengelernt. Als eine Boxerin, die immer wieder aufsteht. Welche neuen Facetten der Figur kommen zum Vorschein?

Ich finde es bemerkenswert, wie schlagfertig und intelligent Mila sich in dieser Folge zeigt. Die Anfeindungen werden trotz Verletzung souverän pariert und durch Milas Führhand zurück auf den Fall gelenkt. Auch die Politikerin Birte Reimers, die Milas Bedenken zunächst nicht ernst nehmen will, wird mit Leichtigkeit entwaffnet und eines Besseren belehrt.

Schlägt sich Borowski in solchen Momenten auf Sahins Seite?

Borowski ist definitiv ein Gegenbeispiel in diesem Film und ein Befürworter des Feminismus. Dies zeigt er sowohl in seinen Meinungsäußerungen als auch im respektvollen Umgang mit Mila. In Momenten der Anfeindung versucht er nicht sie zu beschützen, sondern zu unterstützen. Da er Mila nicht als Opfer betrachtet, sondern als eine starke Frau, die trotzdem hin und wieder seinen Rat in Anspruch nimmt. Dabei scheut er sich nicht, sie darauf aufmerksam zu machen, wie unnahbar und schlagfertig sie im Umgang mit dem Staatsschutz war.

Schweißt der Druck von oben zusammen? Zwischen die beiden Kommissare, so scheint es, passt kein Blatt.

Borowski und Sahin kennen die Arbeitsweise des anderen mittlerweile gut. Wichtig ist, dass Sahin sich durch Borowskis Alleingänge nicht mehr angegriffen fühlt. Sie hat ein Bewusstsein für seine Intuition entwickelt, die ihnen als Team oft von Nutzen ist. Im Gegenzug vertraut Borowski seiner Partnerin Sahin als ebenbürtige Kommissarin, wobei er Sahins Alter und Erfahrung nicht in den Vordergrund stellt. Er weiß, dass er von Sahin Rückendeckung bekommt, sollte er mal wieder aus der Reihe tanzen. Die Vorteile, die daraus entstehen, sind von großer Bedeutung und zeigen den Kommissaren, dass es sich auszahlt, einander zu vertrauen.

Worauf kam es für Sie beim Spielen besonders an?

Die Herausforderung bestand für mich als Schauspielerin darin, die Ruhe zu bewahren und diesen Frauenhass nicht an mich persönlich heranzulassen, damit die Rolle Sahins nicht darunter leidet.

Welche Zuschauerreaktionen erhoffen Sie sich?

Zuallererst finde ich es wichtig, unser Publikum anzuregen, sich mit dem Thema Incel überhaupt auseinanderzusetzen und sich über den Umgang mit Frauen Gedanken zu machen. Wenn wir von Ängsten sprechen, verursacht durch männliche Gewalt, ist dies absolut real. Im Feminismus geht es nicht darum, den Mann auszugrenzen, sondern der Frau die Gleichberechtigung und Freiheit zu geben, die ihr gebührt. Die Ausgrenzung von Menschen aufgrund ihres Geschlechts, ihrer sexuelle Orientierung, Religion oder Herkunft muss ein Ende haben.

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