Das Team

Der Maulwurf muss aus den eigenen Reihen kommen... Petretti (Tim Wilde) Robin Pien (Zoe Moore), Yalcin Gümer (Fahri Yardim)
Der Maulwurf muss aus den eigenen Reihen kommen... Petretti, Robin Pien, Yalcin Gümer  | Bild: NDR / Christine Schroeder

Iris Kiefer

Produktion

Iris Kiefer ist Geschäftsführerin der filmpool fiction GmbH und verantwortet als Produzentin neben dem „Tatort“ Hamburg, „Tatort“ Niedersachsen und „Tatort“ Münster auch den NDR „Polizeiruf 110“ Rostock, den „Polizeiruf 110“ Magdeburg sowie zahlreiche TV-Movies, zuletzt „Angst in meinem Kopf“ und den Zweiteiler „Unschuldig“. Iris Kiefer erhielt für ihre Produktionen unter anderem den Hamburger Produzentenpreis, den Deutschen Fernsehkrimi- und Publikumspreis sowie den Filmpreis Roland.

Iris Kiefers Karriere begann bei TV 2000, wo sie nach dem Studium der Komparatistik, Publizistik und Buchwesen als Producerin anfing und dabei auch als Autorin der Serien „Ein Rucksack voller Abenteuer“ und „Stella Stellaris“ arbeitete. 1994 wechselte sie als Produzentin zur Colonia Media, später zum WWF als Programmchefin und Mitglied der Gemeinschaftsredaktion Vorabend der ARD. 2002 ging sie nach Baden-Baden, um der Maran Film als Programmgeschäftsführerin vorzustehen. Im Juni 2004 kehrte sie nach Köln zurück und leitete zunächst den fiktionalen Bereich der filmpool, bis sie zum 1. Oktober 2012 die Geschäftsführung der neu gegründeten filmpool fiction übernahm.

Gespräch mit Iris Kiefer

»Mich hat immer interessiert, was denn all das, was Tschiller in den fünf Episoden erlebt hat, mit einem Menschen macht.«

Sie produzieren zum ersten Mal den Hamburg-„Tatort“ mit Til Schweiger und hatten die Aufgabe, für dieses Format neue Ideen zu entwickeln. War für Sie diese Neuausrichtung längst überfällig?

Thomas Schreiber hat mich gefragt, ob ich darüber nachdenken wollte, was man an dem Format verändern könnte. Ich finde, das ist eine mutige Entscheidung. Denn die Analyse der Redaktion zeigte, dass diese sehr starke Action-Präsenz nicht in die Herzen aller Zuschauer führt. Es gibt eine Diskrepanz in der öffentlichen Wahrnehmung zwischen dem Till Schweiger, der mit komödiantischen und auch romantischen Kinofilmen große Erfolge hat, und der Tschiller-Figur. Ich persönlich mag sehr wohl Action-Filme, da muss ich mich outen. Aber mich hat auch immer interessiert, was denn all das, was Tschiller in den fünf Episoden erlebt hat, mit einem Menschen macht. Das sind alles Fälle, die ihn bis ins Mark berühren; der Tod seiner Ex-Frau, die Lebensgefahr, in die seine Tochter gerät. Das wollten wir ausbauen, und ich habe Eoin Moore als Regisseur vorgeschlagen. Wir sind beim „Polizeiruf 110“ aus Rostock ein eingespieltes Team, und Til hat ein Interesse an der Art, wie Moore arbeitet, die sehr personenbezogen ist.

Wie ist die Figur jetzt angelegt?

Wir wollten einen Tschiller zeigen, der sich das erste Mal mit all den Dingen auseinandersetzen muss, die er bisher verdrängt hat. Er muss sich wirklich mit seinem Inneren beschäftigen. Das wird durch die Arbeit auf der Insel und die Begegnung mit der Sozialarbeiterin Patti Schmitt hervorgehoben, die ihm klarmacht: Deine Flucht in Aktionismus ist eine Flucht vor dir selbst.

Nick Tschiller arbeitet auf der Insel Neuwerk mit schwer erziehbaren Jugendlichen, während er auf sein Disziplinarverfahren wartet. Warum wurde diese entlegene Insel als Drehort gewählt?

Das war die Idee von Thomas Schreiber, der die Insel sehr gut kannte. Neuwerk gehört zu Hamburg und ist doch ganz weit weg. Kein Ort auf der Insel ist schon verbraucht oder wird mit bestimmten Stimmungen in Verbindung gebracht, wie der Hafen, die Elbphilharmonie oder die Elbvororte. Das ist ein ideales Setting für einen Neuanfang. Uns war auch wichtig, einen Ort zu haben, an dem Tschiller auf sich zurückgeworfen und ganz klassisch ein „fish out of water“ ist. Dieses Mal gibt es für Tschiller keine Großstadt, keine Hektik und auch keine Waffen. Kein einziges Mal in dieser Folge hat er eine echte Waffe in der Hand. Und auch für Gümer ergeben sich neue Herausforderungen, weil er ohne Tschiller in Hamburg ermittelt.

Sie haben zwei Wochen am Stück auf der Insel gedreht. Wie hoch war die logistische Herausforderung?

Die logistische Herausforderung war enorm. Wir mussten das ganze Equipment mit Wattwagen auf die Insel bringen, und die sind genauso wie die Fähre vom Tidenhub abhängig. Deshalb musste das ganze Team auch zwei Wochen am Stück auf der Insel bleiben, auch Fahri Yardim, der eigentlich nur drei Drehtage hatte. Denn bei schlechtem Wetter geht keine Fähre, und wir konnten keine Ausfälle riskieren. Am Anfang war das sehr ungewohnt. Die ersten Tage waren mörderisch kalt, es wehte ein starker Wind und wir haben richtig gelitten, aber dann kam die Sonne heraus und man konnte die Schönheit der Insel sehen und die Ruhe genießen. Das hat auch alle zusammengeschweißt, und die Stimmung war wie in einem Schullandheim. Der Höhepunkt war, dass an einem Tag alle ihre Lieben auf die Insel geholt haben und das war toll.

Neuwerk hat nur hat 40 Einwohner. Wie sind die Menschen dort mit den Dreharbeiten umgegangen?

Die Neuwerker haben das Projekt gemocht und uns von Anfang an unterstützt. Ohne die Hilfe der Inselbewohner wäre es nicht gegangen. Normalerweise verlassen sie ihre Insel im Winter. Nur ein paar Menschen, die Tiere haben, bleiben dort. Einige von ihnen haben für die erste Drehortbesichtigung mit Eoin Moore und Anika Wangard ihre Winterpause unterbrochen und haben ihnen alles gezeigt, damit sie sich für das Drehbuchschreiben ein Bild machen konnten von der Location. Das war schön. Und wir haben dann im April gedreht, weil in den Sommermonaten Tausende Touristen auf der Insel sind. Da wären Dreharbeiten unmöglich gewesen.

Eddie (Andreas Helgi Schmid) und Tom (Ben Münchow) gehen ins Zeugenschutzprogramm
Eddie und Tom gehen ins Zeugenschutzprogramm. | Bild: NDR / Christine Schroeder

Anika Wangard

Drehbuch

Die Diplom-Soziologin Anika Wangard arbeitet seit 1999 bei verschiedenen Filmproduktionen. Ihr Regie-Studium absolvierte sie an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin. Ihr Abschlussfilm „Crashkurs“ (2012) erhielt eine Nominierung für das beste Drehbuch beim Studio Hamburg Nachwuchspreis und eine Nominierung für den Max Ophüls Preis. Für den preisgekrönten NDR „Polizeiruf 110: Familiensache“ (2013, Regie: Eoin Moore) übernahm sie die dramaturgische Beratung. Bei den „Polizeiruf 110“-Episoden „Wendemanöver“ (NDR, MDR 2015), „Muttertag“ (2016, rbb, Hamburger Krimipreis im Rahmen des Studio Hamburg Nachwuchspreises) und „Für Janina“ (2018, NDR) war sie gemeinsam mit Eoin Moore für das jeweilige Drehbuch verantwortlich.

Weitere Informationen unter http://www.abovetheline.de/vita/de/179733/anika-wangard

Eoin Moore

Regie und Drehbuch

Eoin Moore studierte von 1991 bis 1998 an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin. Später arbeitete der gebürtige Ire dort als Dozent für Regie und Schauspielführung. Für seine Regietätigkeit wurde Eoin Moore mehrfach ausgezeichnet. So bekam er für „Plus-Minus Null“ (Drehbuch und Regie) u. a. den Hauptpreis des Filmfests München 1998, den GWFF Preis für den besten Abschlussfilm 1998 sowie den Preis für die beste Regie beim Max Ophüls Festival 1999. Die Kino-Produktion „Pigs will Fly“ (Regie, Buch gemeinsam mit Nadya Derado, 2002) wurde für den Deutschen Filmpreis 2003 in drei Kategorien nominiert und war Wettbewerbsteilnehmer bei den Internationalen Filmfestspielen San Sebastian 2002. Die „Polizeiruf 110“- Folge „Jenseits“ (Regie) bekam 2008 den Hamburger Krimipreis zu Ehren Jürgen Rolands, die NDR „Polizeiruf 110“-Episode „Familiensache“ (Buch und Regie, 2013) 2015 sowohl den Publikumspreis Deutscher Fernsehkrimi als auch den Deutschen-Fernsehkrimi-Preis. Für die Folge „Muttertag“ (Regie, Drehbuch gemeinsam mit Anika Wangard) gewann Eoin Moore den Hamburger Krimipreis zu Ehren Jürgen Rolands 2018. Des Weiteren inszenierte Eoin Moore u. a. die Kieler NDR „Tatort“-Folge „Borowski und der freie Fall“ (2012, auch Drehbuch), die „Polizeiruf 110“-Doppelfolge „Wendemanöver“ (2015, NDR/MDR, Drehbuch gemeinsam mit Anika Wangard), die NDR „Polizeiruf 110“-Episode „Für Janina“ (Drehbuch gemeinsam mit Anika Wangard, 2017) und „Der Sommer nach dem Abitur“, der 2019 auf dem Filmfest München lief. Eoin Moore hat 2009 das Rostocker „Polizeiruf 110“-Format für den NDR entworfen und bis dato acht Filme aus der Reihe inszeniert.

Weitere Informationen unter http://www.abovetheline.de/vita/de/1859/eoin-moore

Nick Tschiller (Til Schweiger) mit den Jugendlichen der Wohngruppe beim Joggen
Während Nick Tschiller auf Neuwerk auf sein Disziplinarverfahren wartet und einer ehemaligen Lehrerin von Lenny, Patti Schmidt, bei der Betreuung von schwererziehbaren Jugendlichen hilft, ermitteln Yalcin Gümer und die neue LKA-Kollegin Robin Pien in einem Fall von Drogenhandel im Darknet. | Bild: NDR / Christine Schroeder

Gespräch mit Eoin Moore und Anika Wangard

»Der ganze ‚Tatort‘ variiert auch das Thema Vertrauen.«

Sie beide haben zusammen Drehbücher für den NDR „Polizeiruf 110“ aus Rostock geschrieben und Sie, Eoin, haben schon acht Mal beim „Polizeiruf 110“ Regie geführt. Die Machart Ihrer Filme unterscheidet sich allerdings sehr von den bisherigen Till Schweiger-„Tatorten“. Wie es zu der Zusammenarbeit gekommen?

eoin moore: Es gab den Wunsch nach einer Veränderung, und weil sich Til schon früher einmal als „Polizeiruf“-Rostock- Fan geoutet hatte, wurden wir angesprochen. Wir haben erst gezögert, denn die früheren „Tatorte“ mit Til waren ganz andersartige Formate als das, was wir machen. Aber nach einigen Gesprächen haben wir verstanden, dass die Redaktion und auch Til wirklich etwas Neues sehen wollten und daran interessiert waren, was wir aus dem „Tatort“ machen. Dann haben wir zugesagt.

Weniger atemlose Action, mehr Zeit für zwischenmenschliche, leisere Töne. War deshalb auch die Insel Neuwerk der ideale Drehort für einen Neustart?

anika wangard: Die Idee mit der Insel war das einzige, das bei „Tschill Out“ schon vorgegeben war. Wir fanden das aber gleich eine gute Idee – Nick Tschiller auf einer Insel, ohne Waffen, weg von allem, das war für uns psychologisch notwendig, um diesen Neustart zu denken. Hätte er weiterhin im urbanen Raum agiert, wäre das schwieriger geworden. Auf der Insel gibt es keine Ablenkung, es gibt nur Ebbe und Flut und Zigtausende Gänse. Das ist eine erzwungene Beruhigung. Die Entwicklung der Geschichte hat allerdings eine Weile gedauert. Erst dachten wir, Tschiller muss auf dieser Insel eine Therapie machen. Das haben wir dann aber verworfen, denn er ist ein Typ, der sich überall sofort eine Aufgabe suchen würde, und die hat er dann auf der Insel gefunden, wo er nun mit schwer erziehbaren Jugendlichen arbeitet. Solche Projekte gibt es tatsächlich gerade an sehr abgeschiedenen Orten, wo diese Jugendlichen zu sich selbst finden sollen, genau wie Tschiller.

Allerdings ist Tschiller bisher noch nicht durch psychologisches Feingefühl in Erscheinung getreten...

eoin moore: Diese Konstellation mit den Jugendlichen bietet die Möglichkeit, Tschiller von einer anderen Seite zu zeigen, die bisher durch die vielen Actionszenen gar nicht zum Vorschein kommen konnte. Aber er hat viel zu geben, denn diese extrem harte Polizeiwelt bietet natürlich auch einen Erfahrungsschatz, aus dem er schöpfen kann, und sie hat bei ihm Spuren hinterlassen. Er steht ja auch vor einem Scherbenhaufen und kann sich da mit den Jugendlichen zum Teil identifizieren. Tschiller wird natürlich nicht plötzlich zum musterhaften Erzieher. Tschiller bleibt Tschiller, und das führt zu Reibungen und Konflikten. Aber es bietet auch viel Potential für Humor und Selbstironie.

Als auf der Insel plötzlich Tom auftaucht, geht es nicht mehr um Erziehungskonzepte, sondern es beginnt ein Wettlauf um Leben und Tod. Gümer ermittelt auf dem Festland ohne Tschiller, und dieses Mal geht es um das Darknet. Ist das gefährlicher als das Clanmilieu, in dem Tschiller und Gümer bisher unterwegs waren?

eoin moore: Das Darknet ist spannend, weil es nicht unmittelbar in das Gut-und-Böse Schema passt. Tom und seinen Bruder wollten wir als Menschen begreifbar machen und es wird schnell klar, dass sie beide als Musiker eine politische Botschaft gegen rechts haben und sie auch im Darknet tätig sind. Dort verkaufen sie softe Drogen und zwar aus Überzeugung. Sie halten es politisch für völlig bekloppt, dass solche Rauschmittel wie Marihuana verboten sind und Menschen, die das nehmen, kriminalisiert werden, während Alkohol frei verfügbar ist, obwohl der mit Sicherheit nicht ungefährlicher ist. Das Darknet hat viele positive Seiten, es gibt zahlreiche politische Bewegungen, die komplett davon abhängig sind. Aber gleichzeitig wird das Darknet auch von Kriminellen missbraucht und es gibt Plattformen, auf denen unfass bare Verbrechen geschehen. Davon erzählen wir auch.

anika wangard: Das möchten wir hier aber noch nicht verraten, weil das zu viel vorwegnehmen würde. Klar ist, dass die Figur Tschiller sehr stark über eine Emotionalität funktioniert, auch in den Folgen davor, in denen er als LKA-Beamter Menschenleben rettet, die organisierter Kriminalität ausgesetzt sind. Nun ist er mit dem Thema Cyberkriminalität konfrontiert, und das drückt bei Tschiller auf alle Knöpfe. Daraus entsteht auch ein Teil der Spannung, denn sobald er sich in den Fall involvieren lässt, kommt er in einen Loyalitätskonflikt mit Patti, der er versprochen hat, die Jugendlichen nicht in Gefahr zu bringen, und mit seiner Tochter, die ihn von einer Rückkehr zum LKA abbringen möchte.

Was verändert sich in der Rollenverteilung zwischen Gümer und Tschiller?

eoin moore: In dem Moment, wo wir entschieden haben, dass wir Tschiller in eine ruhigere Haltung bringen, muss Gümer mehr liefern. Tschiller ist vernarrt in seine Arbeit. Er will ständig in den Krieg ziehen, und das ist sein Problem. Und wenn Gümer jetzt nur mit seinem Rechner in der Wohnung gehockt und ihm am Handy Informationen durchgegeben hätte, wäre der Kontrast nicht so stark gewesen. Wir haben Gümer bewusst eine stärkere Rolle gegeben, er treibt die Dinge voran, und die Parallelhandlung zwischen Stadt und Insel bringt eine große Dynamik. Man braucht nicht zwingend Verfolgungsjagden und Schießereien, um Spannung zu erzeugen.

Für Spannung sorgt auch Yalcin Gümers neue Kollegin Robin Pien, die ihm locker das Wasser reichen kann. Warum reagiert Gümer anfangs ziemlich allergisch auf sie?

anika wangard: Der ganze „Tatort“ variiert auch das Thema Vertrauen. Kann Patti Tschiller vertrauen? Missbraucht Eddie Nix das Vertrauen seines Bruders Tom? Sagt Tom Tschiller die Wahrheit? Auch Robin Pien muss sich beweisen, weil gleich am Anfang die Frage steht, wer der Maulwurf im Ermittler-Team sein könnte. Sie muss Gümers Vertrauen erst mühsam gewinnen.

eoin moore: Unser Anliegen war auch, eine stärkere Frauenrolle zwischen den beiden Männern zu etablieren. In diesem Action-Genre ging es bei Tschiller und Gümer ziemlich Testosteron-geladen her. Das ist ein schöner Konflikt, wenn so jemand wie die Pien hereinkommt, die jung und frisch ist und sich beweisen muss, und gleichzeitig macht sie alles richtig, während Yalcin immer wieder ins Fettnäpfchen tritt. Das ist eine schöne Grundkonstellation für Humor.

Die Bilder, die der Kameramann Michael McDonough geschaffen hat, sind von großer Intensität. Haben Sie schon früher zusammengearbeitet?

eoin moore: Michael ist ein extrem erfolgreicher, fantastischer Kameramann, der sehr große Formate und Kinofilme in den USA und England dreht. Er hat zum Beispiel die Kamera bei „Winter´s Bone“ gemacht, und die fand ich ganz fantastisch. Irgendwann sagte mir meine Schwester dann, sie habe so einen Kameramann kennengelernt, der heißt Michael McDonough, und da war ich ganz hin und weg. Und jetzt haben wir endlich zusammen den ersten Film realisiert.

anika wangard: Es ist schön, wie Michaels Kamera den Unterschied zwischen der Urbanität Hamburgs und der ländlichen Atmosphäre von Neuwerk einfängt. Und er zeigt eindrucksvoll Tschillers inneren Konflikt. Wir haben in dieser Figur immer eine versteckte Verlorenheit gesehen, die er selbst erkennt. Er weiß nicht genau, wie er im Leben steht, und diese Weite und diese Naturgewalten auf der entlegenen Insel, verkörpert durch Ebbe und Flut, dieses Ausgeliefertsein, das ein Spiegel für sein Innenleben ist, das transportieren die Bilder.

Eddie Nix (Andreas Helgi Schmid) und Tom Nix (Ben Münchow) sind die Punk-Band NIX GEWESEN
Eddie Nix und Tom Nix sind die Punk-Band NIX GEWESEN | Bild: NDR / Christine Schroeder

Michael McDonough

Kamera

Michael McDonough studierte Kunst an der Glasgow School of Art sowie am Royal Collage of Art und gewann 1991 den Prix de Rome. Ein Film-Studium an der New York University führte ihn in die Vereinigten Staaten, wo er seitdem hauptsächlich arbeitet. Beispiele seiner Produktionen fürs Fernsehen sind „Downton Abbey“ (2014, eine Episode), die BBC-Serie „Murder“ (2016), die Serie „Fear the walking Dead“ (2015–2016, Staffel 1) und zwölf Folgen der Serie „Bosch“ (2017, 2018–2019). Spielfilme von Michael McDonough sind u. a. „Winter’s Bone“ (R: Debra Granik, 2010), „Albert Nobbs“ (R: Rodrigo Garcia, 2011), „Darling Companion“ (R: Lawrence Kasdan, 2012) und „Sunset Song“ (R: Terence Davies, 2015).

Seit 2005 gehört er der International Cinematographers Guild an; 2013 wurde er in die Amercian Society of Cinematographers und 2015 in die British Society of Cinematographers eingeladen. Außerdem ist er Mitglied der Directors Guild of America.

Weitere Infos unter https://michaelmcdonoughasc.com

Gespräch mit Michael McDonough

»Wir haben versucht, wirklich in Tils Kopf hineinzuschauen.«

Sie sind Kameramann von prämierten Filmen, die in den USA und England produziert werden. Wie konnten Sie für den „Tatort: Tschill Out“ gewonnen werden?

Ich kenne den „Tatort“ und „Polizeiruf 110“ seit vielen Jahren. Ich bin mit der irischen Künstlerin Ciara Moore verheiratet, der Schwester von Eoin Moore. Eoin und ich haben seit 2012 oder 2013 über eine Zusammenarbeit gesprochen, aber es hat zeitlich nie gepasst. Im Jahr 2019 habe ich mich dann entschieden, andere Arbeitsangebote abzulehnen und mir für diesen Til-„Tatort“ mit Eoin Zeit zu nehmen.

Als Sie das Drehbuch gelesen haben, kannten Sie Hamburg und die Insel Neuwerk nicht. War das auch eine Chance für einen anderen Blick auf die Geschichte?

Ich bin noch nie in Hamburg gewesen, bevor ich diesen „Tatort“ gedreht habe, nur Berlin kenne ich gut. Ich drehe dort seit vielen Jahren für Douglas Gordon Künstlerfilme. Aber Hamburg war für mich Neuland. Ich habe die Stadt geliebt. Ich komme aus Glasgow, einer anderen Schiffbau- und Industriestadt, und so fühlte sich alles sehr vertraut an. Allerdings, ja, als jemand, der die Stadt zum ersten Mal sieht, neigt man dazu, einen frischen Blick auf das zu werfen, was um einen herum ist, ohne es überhaupt zu wollen. Auch Neuwerk war etwas ganz Neues. An so einem Ort bin ich noch nie gewesen, und ich hoffe, dass dies dieser Episode einen besonderen „Charakter“ verleiht.

Wie haben Sie die Unterschiede zwischen den beiden Welten, der Großstadt Hamburg und der Insel Neuwerk, visuell dargestellt?

Eoin und ich haben uns überlegt, dass wir visuelle Unterschiede zwischen der Storyline auf der Insel Neuwerk und Hamburg wollten. Ich brachte einen „Look Up Table“ mit, den ich für Alexa-Kameras für eine frühere Serie in den USA entwickelt hatte. Einfach ausgedrückt: Wir hatten eine natürliche Farbpalette für Neuwerk und betonten das synthetische/industrielle Gefühl der Beleuchtung in der Hamburger City. Bei einem Außendreh ist die Natur meine erste Inspiration, und bei Innenaufnahmen schaffe ich eine natürliche Beleuchtung. Ich habe oft das Gefühl, dass das dramatischste Licht bereits in der Natur existiert, und es geht darum, es während des Filmens zu nutzen oder nach Belieben wiederherzustellen.

Beeinflussen andere Filme oder Fotografen Ihre Bildsprache?

Immer. Für dieses Projekt habe ich Eoin Bilder des französischen Fotografen Philip Agou gezeigt und diese als Inspiration für die Szenen von Neuwerk verwendet. Ich erinnere mich auch daran, wie ich Wim Wenders „American Friend“ schaute, bevor ich nach Hamburg kam, und wie sehr ich die gemischten Farbtemperaturen der Stadt mochte, die der Kameramann Robby Müller kreiert hatte. Diese Fülle und Sättigung der „industriellen“ Farbe spielte dann in den Hamburger Szenen des „Tatorts“ eine Rolle.

Wie unterstützt Ihre Bildgestaltung das Storytelling des Films und seine Charaktere?

Eoin und ich haben besprochen, Til mit einer Handkamera sehr nahe zu kommen. Wir haben versucht, wirklich in seinen Kopf hineinzuschauen. In einigen der emotionaleren Szenen war dies genau unser Ansatz. Ich glaube, es war eine sehr bewusste Entscheidung, Eoin zu bitten, diese Episode zu schreiben und zu drehen, um mehr in die emotionale Welt von Tschiller einzusteigen.

Konnten Sie auf Ihre Erfahrungen aus anderen Filmen in diesem „Tatort“ aufbauen?

Vieles, wofür ich bekannt bin, könnte als intime Charakterdramen bezeichnet werden. Leise Filme, mit wenig Action, die sich mehr mit dem Innenleben der Charaktere beschäftigen und den Herausforderungen, denen sie gegenüberstehen. Ich denke, indem man Tschiller seine Waffe und seine Bestimmung als Polizist wegnimmt und ihn mit diesen schwierigen Teenagern zusammenbringt, entwickelt sich eine ganz andere Art von Geschichte.

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