SENDETERMIN Di., 02.08.22 | 05:30 Uhr

Buchtipp: Sommer

von Thomas Schindler, Literaturexperte

PlayHeinz Strunk: Ein Sommer in Niendorf
Buchtipp: Sommer | Video verfügbar bis 02.08.2024 | Bild: Rowohlt Verlag

Heinz Strunk: Ein Sommer in Niendorf

Roman, Rowohlt 2022, Hardcover, 240 Seiten, 22 Euro

Seit Wochen auf der Bestsellerliste ganz oben und mit Kritikerlob überhäuft, es ist wohl "der" Roman dieses Sommers. Warum eigentlich? Auf den ersten Blick liefert Heinz Strunks Roman ein überschaubares Setting: Ein Mann, der eben noch dachte, sein Leben fest im Griff zu haben, stürzt ohne klar erkennbaren Grund völlig ab.

Georg Roth, 51, Wirtschaftsanwalt, nimmt sich eine Auszeit, um Schriftsteller zu werden und die eigene, vermeintlich aufregende Familiengeschichte niederzuschreiben.
Niendorf an der Ostsee schien ihm eine gute Idee, aber vor Ort empfindet er alles als weit unter seinem Niveau, furchtbare Leute, ekelhaftes Essen.
Das Buchprojekt will nicht vorwärts kommen, die Tage werden trinkfreudiger und trinktrauriger, aber liegt es wirklich an Niendorf? Vielleicht hat er im Leben zu sehr Gas gegeben, vielleicht hat ihn eine gescheiterte Ehe samt verkorkster Tochter weit mehr Energie kostet, als er wahrhaben wollte? Es ist ihm wohl schon seit einiger Zeit die Puste ausgegangen. Hier tritt es nun zutage.
Nach und nach zieht es der Hauptfigur den Boden unter den Füßen weg: Nichtstun, Dauersuff, Verfall, Momente größter Peinlichkeit, Lethargie und Todessehnsucht

Ja, Heinz Strunk schreibt immer auch einen Ticken zu derbe, auch banale Sätze und Szenen wiederholen sich. Das ist aber wenig gegen die witzigen, präzise knallhart beobachteten oder auch berührend schönen Szenen, die dieser Roman liefert.
Und da sind noch die Nebenfiguren: Breda, der aufdringliche Hausmeister und Spirituosenhändler, seine naiv-dümmliche Freundin Simone, aber es gelingt dem Autor, dass diese Charaktere, die einen anfangs in ihrer Vulgarität anwidern, nach und nach ans Herz wachsen.

Und am Ende hat man einen Roman über eine Figur gelesen, die von außen betrachtet sozial abgestiegen ist, aber in Wahrheit das Glück gefunden hat. Dort, wo ein vernünftiger Mensch wohl nie gesucht hätte.

Franziska Gänsler: Ewig Sommer
Franziska Gänsler: Ewig Sommer | Bild: Kein & Aber Verlag

Franziska Gänsler: Ewig Sommer

Roman, Kein & Aber 2022, Hardcover, 208 Seiten, 23 Euro

"Ewig Sommer", das klang ja mal nach Ferien und großem Spaß, hat aber in diesen Zeiten etwas von Bedrohung und Klimawandel. Daher ist der Titel clever gewählt, denn in diesem Buch sehnen sich die Menschen nach Regen, der Abkühlung bringt, Spuren verwischt, Leben rettet.

Im Zentrum dieses Debütromans steht ein Hotel im fiktiven Ort Heim, der von näher kommenden Waldbränden bedroht wird.
Über die Jahre ist es immer trockener geworden, kaum Menschen besuchen den Kurort, doch Hotelbesitzerin Iris bleibt, harrt aus, auch aus Ermangelung an Alternativen. An wen das Hotel verkaufen, wo soll sie hin?
Und dann nimmt sie eine junge Mutter mit ihrer kleinen Tochter auf, die Rätsel aufgeben. Was machen Dori und Ilya hier, warum wirkt die Frau verängstigt, hat sie vielleicht sogar das Kind entführt und ist auf der Flucht? 

Auf den ersten hundert Seiten baut Franziska Gänsler dieses enorm spannende Szenario auf. Und irgendwann ruft ein Mann, der seine Frau sucht und das Drama nimmt seinen Lauf, die Hitze steigt, die Schlinge zieht sich zu, allerdings: Wer auf einen packenden Thriller-Plot hofft, den wird das Ende wohl eher enttäuschen.

Einen starken Debütroman mit kleinen Schwächen hat Franziska Gänsler hier vorgelegt, eine kurze, merkwürdige, aber packende Lektüre.

Stand: 25.07.2023 21:37 Uhr

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